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Dicke Luft: Philip Rösler und Angela Merkel.

© dpa

Poker um Gauck: Zockerkönig Rösler - gut geblufft oder hoch gepokert?

Der Vizekanzler probt den Aufstand: Rösler hat hoch gepokert. Medienexperte Mike Kleiß hat den Pokerprofi Michael Keiner befragt. Der bietet eine interessante Analyse - und es gelingt ihm, Röslers Verhalten zu erklären.

Ausgerechnet Rösler. Der liebe Herr Rösler, der eigentlich stets den Eindruck machte, nie mit gezinkten Karten zu spielen. Weil man niemals erwartet hätte, dass er überhaupt ein Zocker ist. Ausgerechnet Philipp Rösler, der mit seiner FDP bei 2 Prozent herumdümpelt und die Piraten an sich vorbeischippern sieht.

Ausgerechnet er zieht den entscheidenden Kartenspielertrick und pokert so hoch, dass er am Ende sein Ass, Joachim Gauck, doch noch aus dem Ärmel schüttelt, und den Ex Bürgerrechtler am Ende auf den Thron im Schloss Bellevue setzt? Wie hat er das gemacht? Ist Rösler doch einfach unterschätzt? Ein Tausendsassa, der unterm Tisch noch die ein oder andere Karte hat, die er pfiffig in sein Blatt einmischt? 

Er ist in jedem Fall ein hohes Risiko gegangen, die Koalition hat er aufs Spiel gesetzt. Eiskalt, unter Einbeziehung aller Eventualitäten. „Die Möglichkeit, die Koalition zu beenden, ist von der Union mehrfach genannt worden“, sagte Rösler in einem Interview. Es gibt dieser Tage viele Mutmaßungen, warum Merkels Vize diesen Schritt ging. Dieses Duell zwischen sich und der Kanzlerin in Kauf nahm. Doch den wahren Grund kann man nur dann erfahren, wenn man jemanden fragt, der sich mit Poker bestens auskennt. Michael Keiner gehört seit Jahren zu den erfolgreichsten Pokerspielern Deutschlands.

Wie Philipp Rösler ist Michael Keiner Doktor der Medizin, man nennt ihn in der Szene liebevoll „Doc“. Lange vor dem frischgebackenen Pokerweltmeister Pius Heinz hat Michael Keiner beinahe eine Wissenschaft aus der kommenden Sportart gemacht, und hat alles, wirklich alles gesehen, was mit Poker zutun hat! Auch die Partie zwischen seinem Doktorkollegen Philipp Rösler und Angela Merkel. Verblüffend! Für den Pokerexperten Michael Keiner ist die Strategie des FDP Vorsitzenden völlig klar.

Philipp Rösler ist „all in gegangen“: „All in!“ Diese zwei Worte sind im Turnierpoker mit das mächtigste, gleichzeitig aber auch das verzweifelteste Werkzeug, das einem Spieler zur Verfügung steht. Bei einem Pokerturnier starten alle Spieler zunächst mit der gleichen Anzahl an Chips. Im Verlauf der Hände verschieben sich die Relationen gewaltig, einige Teilnehmer sitzen auf wahren Bergen von Spielgeld, während andere schon allein durch die zu tätigenden Pflichteinsätze in ihrer Turnierexistenz bedroht sind. Wenn ein Spieler mit einem derart kleinen Chipstack noch irgendeine Rolle im weiteren Turnier spielen möchte, muss er sich zwangsläufig zu einem strategisch möglichst günstigen Zeitpunkt für den All in Move entscheiden.

Dem Doktor schwammen die Felle davon

Dr. Rösler ist jener Spieler, dem seine „Felle“ davon zu schwimmen drohten. Die FDP als nur allzu bequemer Koalitionspartner der übermächtigen CDU/CSU-Fraktion verlor in den vergangenen Monaten vor allem eines: Profil.

Sichtbar wurde dies in erster Linie in den aktuellen Umfrageergebnissen, die beständig nur noch einen Platz in der außerparlamentarischen Opposition vorsahen und mittelfristig untrennbar mit der Person des Vorsitzenden verbunden sind. Um hier ein deutliches Zeichen zu setzen, blieb ihm nur ein vernünftiger, wohl durchdachter Zug übrig; sich in einem Thema, das im Fokus der Wahrnehmung jedes einzelnen Deutschen liegt, eine eigenständige, zum Unionspartner klar abgrenzbare Position anzueignen. Der Vorschlag Joachim Gauck erfüllt die Kriterien in perfekter Art und Weise.

Der All in Move im Turnierpoker ist aber auch ein Akt besonderen Mutes. Der Proband riskiert damit alles, für das er im Laufe des Events gekämpft hat. Wird ein All in von einem Mitspieler gecallt, kommt es zum Showdown. Und wenn der All in Spieler die Hand verliert, ist er unwiederbringlich draußen, das Turnier ist für ihn Geschichte.

Rösler hat mit seinem All in den Bruch der Koalition riskiert. Hätte sich die Bundeskanzlerin auf einen Call eingelassen, hätte dies durchaus in ein Szenario mit vorgezogenen Neuwahlen und einem Bundestag führen können, in dem es keine Sitzplätze mehr für FDP-Abgeordnete gegeben hätte. Aber dieses Mal hat das All in wunderbar funktioniert. Merkel hat den Showdown vermieden und gefoldet.

Nun werden all die, die sowieso immer schon wussten, dass es Rösler drauf hat, dass die FDP immer schon Kante bewiesen hat – in entscheidenden Situationen – endlich in ihrer Meinung bestätigt. Der Mann hat mit seiner „all in Strategie“ alles richtig gemacht. Er, ja nur er, hat es der Kanzlerin gezeigt, Kohls Mädchen mal ordentlich die Stirn geboten.

Es werden jedoch immer mehr Stimmen laut, die sich gegen den designierten Bundespräsidenten Joachim Gauck stellen. Eine davon ist die von Hans-Christian Ströbele aus dem Grünen Lager. Er schreibt auf seiner Facebook-Seite: „Vor der Präsidentenwahl vor 20 Monaten hat Joachim Gaucks Auftritt vor den Fraktionen von SPD und Grünen zunächst meine schon damals bestehenden Zweifel ausgeräumt. Ich habe damals für ihn gestimmt, aber später habe ich mich über mehrere Äußerungen von Herrn Gauck geärgert.”

Das Pokerface des netten Herrn Rösler

Noch schlimmer kommt es gerade für Rösler! Der sei mit einem blauen Auge gerade nochmal davon gekommen, er habe einfach nur Glück gehabt, munkelt man in den Reihen der CDU/CSU. Glück? Beim Poker? Das passt für Pokerprofi Michael Keiner so nicht zusammen. 

„Mit Glück hatte Röslers Punktsieg überhaupt nichts zu tun. Beim All in ist vor allem ein Punkt entscheidend. Das richtige Timing, der Zeitpunkt muss sorgfältig gewählt werden. Hat bei einem Pokerturnier ein Spieler bereits den Einsatz so kräftig erhöht, dass das All in des Gegners keine ernsthafte Bedrohung für die Chips darstellt, wird der Showdown, die Tatsachenentscheidung, unvermeidlich.

Besteht jedoch die Möglichkeit, dass der Mitspieler nach dem All in seine Hand aufgibt, gewinnt man das Spiel kampflos. Im Poker berechnen wir die Wahrscheinlichkeit einer kampflosen Handaufgabe und nennen sie „Foldequity“. Im konkreten Fall war die Höhe der Foldequity ausgezeichnet. Die Union konnte zum Zeitpunkt von Röslers Move keinen eigenen Kandidaten präsentieren, der bereit war, das Amt anzunehmen. Gleichzeitig zeichnete sich für Joachim Gauck eine parteiübergreifende Mehrheit außerhalb des Unionslagers ab. Gleichzeitig war Rösler bewusst, dass die Union bei einem Showdown im Sinne eines Koalitionsbruchs vielleicht nicht ganz so viel zu verlieren hatte, wie die FDP, aber wesentlich mehr, als es der Kanzlerin lieb war.

In voller Kenntnis der Situation musste der FDP-Vorsitzende folgerichtig zum Schluss kommen, dass die Foldequity seines All ins größer als 95 % war. Glück kommt nur dann ins Spiel, wenn es zur Tatsachenentscheidung kommt. Die hat Rösler aber über eine ausgezeichnete Situationsanalyse vermieden.“

Man darf gespannt sein, welches Pokerface der nette Herr Rösler in Zukunft noch aufsetzen kann. Und vor allen Dingen, ob seine „All in-Strategie“ am Ende aufgehen wird. Wer weiß, vielleicht schießt er die gute alte FDP doch noch schneller als seinen Schatten über die 5% Hürde bei der Bundestagswahl 2013. Denn 2013 werden die Karten völlig neu gemischt!

Mike Kleiß arbeitete bei SWR3 und als stellvertretender Programmchef der ARD Hörfunksender MDR Jump&Sputnik. Er gilt als Medien- und Markenexperte. Heute gilt seine ganze Aufmerksamkeit der Kommunikationsagentur "Medienhafen Köln".

Mike Kleiß

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