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Polen: Die k. u. k. Anarchie

Polen heute: Polarisierung ist an der Tagesordnung – und das erinnert an die Ukraine. Von Hexenjagd war schon die Rede, vom „polnischen Watergate“ spricht man jetzt.

Ach Gott, manchmal denkt man, Polen ist doch verloren. Verloren für die guten politischen Sitten, schlichte demokratische Gepflogenheiten, mehr als binationale Zusammenarbeit. Das ist, wenn man Lech Walesa hört, immerhin der frühere Präsident, der erste demokratische nach langer Tyrannei, der Held der Solidarnosc aus Danziger Tagen, der Friedensnobelpreisträger. Der spricht über seine Nachfahren in der großen Politik, dass einem angst und bange werden kann. Einen Staatsstreich wirft er den beiden Brüdern Kaczynski vor, die gerade das Land beherrschen. Und dann denkt man: Der muss es wissen, er kennt die Brüder ja aus der Solidarnosc-Zeit.

Nun gut, es ist Walesa, der auch für einen zwischenzeitlichen Mangel an Urteilskraft bekannt geworden ist. Doch wird das Treiben in Polen fraglos immer wilder, wenn man den Berichten folgt. Von Hexenjagd war schon die Rede, vom „polnischen Watergate“ spricht man jetzt. Zwei der jüngsten Vorfälle: Da wird der frühere Innenminister Janusz Kaczmarek im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal verhaftet und beschuldigt Regierungschef Jaroslaw K. (Bruder Lech ist Staatschef), er setze den Geheimdienst auf politische Gegner an in der Absicht, diskreditierendes Material zu finden. Und es meldet sich Ex-Premier Kazirmierz Marcinkiewicz mit dem Vorwurf, ein hoher Politiker der großen regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) habe ihn vom Inneren Sicherheitsdienst überwachen lassen wollen. Ohne Namen zu nennen. Aber jeder kann ihn sich denken.

In Polen ist der Teufel los, die Opposition will Neuwahlen, und die soll sie bekommen, finden die Brüder K. Der Machtkampf erreicht ukrainische Verhältnisse, auf der nach unten offenen politischen Bebenskala. Polen, das EU- Land, der Nato-Partner – es wird zum zivilen Bündnisfall. Muss sich hier nicht die EU engagieren, voran die Bundesregierung? Polen beginnt 80 Kilometer von Berlin entfernt, und Kanzlerin Angela Merkel sagt, die Solidarnosc habe sie zur Politik gebracht.

Nicht mehr nur, dass die Gebrüder Kaczynski sich nationalpopulistisch mit jedem größeren Land in Streit begeben, besonders mit Deutschland. Dass sie dazu mit übler Nachrede und Antitoleranz eine Mehrheit hinter sich zu scharen versuchen, was ihnen unglückseligerweise sogar gelingen kann. Nein, immer mehr geschieht, das zur Dekonstruktion der Reputation beiträgt. Polen ist in der Gefahr, durch unablässige, unverantwortliche Polarisierung und radikale Rhetorik den Gemeinsinn der Gesellschaft zu verlieren. Von Solidarnosc keine Spur.

Im Gegenteil. Wie weit es gekommen ist, das immerhin lässt sich ohne Zweifel an Walesas Äußerungen ablesen. Der wirft den beiden Kaczynskis vor, ihr Vorgehen erinnere an den Versuch der Kommunistischen Partei, seine Gewerkschaftsbewegung 1981 zu zerschlagen. Schlimmer kann der Vorwurf nicht sein. Wo doch unter allen politischen Gegnern gerade die Postkommunisten als durch und durch korrupt gelten.

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