
Steckt der PiS-Parteiführer dahinter?: Polens Nein zu Patriot-Raketen ist ein Affront
Warschau lehnt ein Raketen-Angebot Berlins ab. Die deutsch-polnischen Beziehungen erreichen damit einen neuen Tiefpunkt. Ein Gastbeitrag.
Es schien, als ob diese Gelegenheit nicht verpasst werden könnte. Nach der Tragödie im polnischen Przewodów, wo verirrte ukrainische Raketen zwei Menschen getötet haben, machte Deutschland ein Angebot.
Zwei Batterien des Patriot-Raketenabwehrsystems sollten in Polen stationiert werden. Eine bessere Stärkung des Schutzes polnischen Luftraums wäre kaum denkbar.
Aus deutscher Sicht war das eine politisch wichtige Geste gegenüber dem östlichen Nachbar, mit dem Berlin in vielen Fragen übers Kreuz liegt.
Raketenwerfer für das deutsche Image
Die Kritik an Deutschlands zögerlicher Militärhilfe für die Ukraine hält in Polen unvermindert an und untergräbt das Vertrauen in die deutsche Solidarität. Raketenwerfer und Radargeräte an der polnischen Grenze würden die deutsch-polnische Interessengemeinschaft wieder beleben und das deutsche Image stärken, so das Kalkül.
Aber nichts dergleichen. Nach anfänglichen positiven Reaktionen lehnte Warschau das Angebot ab. Anscheinend setze sich der germanophobe PiS-Parteiführer Jaroslaw Kaczynski mit seinem Nein durch.
In einem Tweet teilte daraufhin der Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak mit, dass Polen die deutschen Patriots lieber an die Ukraine geben würde. Für einen Laien klingt die Idee plausibel.
Ansage an Deutschland
Braucht die Ukraine die Raktenabwehr nicht mehr als Polen? In der Realität war die Antwort eine Absage an Deutschland – und ein Affront. Patriots sind amerikanische Geräte und können nicht ohne die Zustimmung der USA entsandt werden.
Weder die USA, noch Deutschland, noch ein anderes Nato-Land würden sich bereit erklären, ihre Soldaten, die für den Betrieb benötigt werden, in die Ukraine zu schicken.
Dies käme der Überschreitung einer roten Linie gleich. Einen direkten Konflikt mit Russland will keiner riskieren.
Wollte Polen ernsthaft mit Deutschland über die mögliche Bereitstellung von Patriots für die Ukraine sprechen, hätte er dies hinter verschlossenen Türen tun und sich mit der Nato und den USA beraten müssen. Dagegen setze er einen Tweet ab und schickte parallel dazu einen Brief an das deutsche Verteidigungsministerium.
Zynisches Spiel mit der Ukrainehilfe
Das war nicht nur ein diplomatischer Fehltritt, sondern auch ein zynisches Spiel mit dem Thema der Ukrainehilfe. Wer dachte, dass mit der Forderung nach Reparationen der Tiefpunkt der deutsch-polnischen Beziehungen erreicht sei, der irrte.
Nun kann sich niemand mehr der Illusion hingeben, dass solange die Kaczynski-Partei an der Macht ist, werden Berlin und Warschau an einem Strang ziehen können.

Das ist fatal. Polen und Deutschland sind zur Kooperation fast verdammt, wenn sie ihre jeweiligen Interessen nicht aufs Spiel setzen wollen. Eine neue Herausforderung steht bereits vor der Tür.
Russlands vorsätzliche Zerstörung der Energieinfrastruktur in der Ukraine durch Bombenangriffe soll den Exodus und eine erneute Flüchtlingskrise in Europa auslösen. Deutschland und Polen als die wichtigsten Zielländer würden am stärksten von ihren Folgen betroffen sein.
Stockende Willkommenskultur in Deutschland und Polen
In beiden Ländern steckt die Willkomenskultur in der Krise. Eine kürzlich veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Ukrainer in Polen zunehmend Irritation und Neid hervorrufen, während die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage diese Gefühle noch verstärkt.
Die Situation in den Großstädten ist besonders schwierig. Nicht nur nehmen sie die meisten Flüchtlinge auf, sondern sie leiden auch unter den drastischen Mittelkürzungen im Zusammenhang mit einer gezielten Steuerpolitik der Regierung. Diese will die von liberalen Politikern geführten Städte finanziell aushungern lassen.
Die Chance, dass Warschau, Danzig oder Kattowitz einen möglichen neuen großen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine so gut bewältigen können wie im Frühjahr, ist sehr gering. Aber auch in Deutschland ächzen die Kommunen unter dem Druck der Ausgaben und logistischen Probleme. Cottbus erklärte kürzlich, dass es keine Flüchtlinge aufnehmen kann.
Geteilte Migrationskrise
Hier zeichnet sich auch eine deutsch-polnische Interessengemeinschaft ab – unter den Regionen, Städten und Kommunen. Es steht nämlich fest: wenn die polnischen lokalen Behörden finanziell und logistisch überfordert werden, wird Deutschland das nächste Ziel für die Flüchtlinge sein.
Nicht alle wollen zwar unbedingt weiter in den Westen ziehen. Wenn jedoch der Winter streng , die Aufnehmezentren überfüllt und die Mietpreise exorbitant sind, wird diese Option viel attraktiver. Oder sie wird die einzig mögliche sein.
Die EU-Instrumente reichen derzeit nicht aus, um Migrationskrisen wirksam zu bewältigen. Es mangelt an wirksamen Umsiedlungsmechanismen, so dass die Last der Aufnahme von Flüchtlingen ohnehin hauptsächlich auf den Schultern einiger weniger Länder lruht.
Die EU braucht ein neues Flüchtlingssystem
Was die Ukrainer betrifft, so gilt dies für Polen (1,5 Millionen), Deutschland (eine Million) und die Tschechische Republik (450.000). Italien, das als nächstes an der Reihe ist, hat bereits nur 170.000 aufgenommen.
Sollte es zu einer weiteren Welle kommen, würde sich dieses Szenario wiederholen. Außerdem ist im EU-Haushalt nicht genug Geld vorhanden, um die Länder zu unterstützen, die die größte Last zu tragen haben.
Es ist ein anderes System erforderlich. Dafür ist eine politische Initiative Deutschlands mit Unterstützung einer Koaliiton der willigen Staaten notwendig. Gebraucht werden ein Solidaritätsfonds sowie ein Verteilungssystem bei dem das Geld dorthin fließt wo die Flüchtlinge aufgenommen werden.
So könnten Deutschland und Polen profitieren
Dies wäre ein guter Anreiz für verschiedene Städte und Regionen in der EU, sich stärker in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Es geht nicht um eine erzwungene Umsiedlung, sondern darum, den Flüchtlingen Möglichkeiten zu schaffen, sich dort niederzulassen, wo die Bereitschaft besteht, sie aufzunehmen und zu versorgen.
Es gibt mehr solcher Orte, als man denken könnte. Von einem solchen System würden auch deutsche und polnische Städte, Kreise und Gemeinden profitieren können, die Flüchtlinge aufnehmen.
Am Anfang dieser Initiative könnte eine finanzielle Geste Berlins gegenüber der Stadt Warschau und anderen polnischen großen Städten stehen, die seit dem Frühjahr für ihre Hilfsbereitschaft für die Ukrainer in Europa bewundert werden.
Hoffnung für eine Zusammenarbeit?
Deutschland würde damit den ersten Schritt machen. Er wäre nicht nur ein Zeichen der Großzügigkeit: eine Verstärkung der Aufnahmekapazitäten in Polen liegt im genuinen deutschen Interesse. Eine solche Unterstützung hätte aber auch eine große symbolische Bedeutung, zumal im Zusammenhang mit dem Patriots-Desaster.
Sie würde zeigen, dass Berlin trotz der offen widerstrebenden oder gar feindseligen Politik Warschaus gegenüber dem polnischen Volk nicht den Rücken kehrt. Es gibt andere als Kaczynski Partner in Polen, die für eine vertrauensvolle Kooperation offen stehen.
So könnte eine deutsch-polnische Zusammenarbeit trotz der Widrigkeiten der politischen Lage wichtige Impulse für Europa setzen.
Könnte am Ende dieses Prozesses ein effizientes System einer freiwilligen Verteilung der Flüchtlinge in Europa stehen, auf der Basis einer Kooperation zwischen Regionen und Städten?
Dies zu fördern ist heute eine Aufgabe für die deutsche Bundesregierung und Länderregierungen, für die polnischen Kommunalpolitiker, die polnischeOpposition sowie Bürgerinitiativen.
Das Schicksal der ukrainischen Flüchtlinge und die Notwendigkeit, die mit einer möglichen Verschärfung der Migrationskrise verbundenen negativen sozialen Auswirkungen in Polen und Deutschland zu verringern, sind ausreichende Gründe, um dies zu versuchen. Patriots an der polnisch-ukrainischen Grenze hin oder her.