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Immer herein: An diesem Schreibtisch empfängt Mario Draghi aktuell die Vertreter möglicher Koalitionsparteien.

© Camera dei deputati via Reuters

Polit-Chaos inmitten der Pandemie: Die wohl dümmste Regierungskrise seit Menschengedenken

In Italien ist Super-Mario Draghi zurück und soll es richten. Aber die grundsätzlichen Probleme sind damit nur verschoben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Wieder einmal fordert Italiens Krisengeschwindigkeit alle Konzentration, um beim Versuch, zu verstehen, nicht aus der Kurve zu fliegen: Eine Regierung stürzt, mitten in der Pandemie, weil eine Kleinstkoalitionspartei es will; der Premier erhält kurz danach das Vertrauen des Parlaments – und ist wenig später doch zum Rückzug gezwungen.

Stand jetzt: Der frühere Notenbanker und legendäre Ex-Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat die Bühne betreten, nein, er ist als „Deus ex Machina“ herabgeschwebt. Und schon scheint die Magie des Mannes alle Wogen zu glätten, alle Knoten zu lösen.

Super-Mario, dessen Name schon Drachentöterqualitäten verheißt, der Wortkarge, dessen wenige Worte europäische Geschichte machten – sein „Whatever it takes“ rettete den Euro – soll und wird es richten.

Denn, ein weiteres Wunder: Praktisch das ganze Parlament, Berlusconis Truppe eingeschlossen, drängt sich nun, ihn zu unterstützen und, klar, ein paar Stühle am Kabinettstisch zu ergattern, egal an wessen Seite.

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Das ist im Falle von Matteo Renzi, des Auslösers jener dümmsten Regierungskrise seit Menschengedenken, noch verständlich. Renzi, Chef der Kleinstpartei „Italia viva“, hofft wohl, an der Seite des Nichtpolitikers Draghi wieder mehr Sichtbarkeit, Beinfreiheit für seine Ränkespiele und Futter für seine Klientel zu bekommen als unter Premier Conte.

Erstaunlicher ist die Wandlung des andern Matteo, Salvini von der rechtsextremen Lega: Ausgerechnet mit Draghi, Mann des Euros und Europas, also all dessen, wogegen Salvini politisch steht, demonstriert er Einvernehmen, will keinerlei Forderungen stellen, zeigt sich in jeder Weise offen. Man darf vermuten, dass die lange Abwesenheit von der Macht, dem Palazzo, Salvini so handzahm gemacht hat. Wer weiß, wie lange.

Die Regierung der Techniker, eine fromme Lüge

Als regelrecht tragisch schließlich darf man die Entwicklung bei den Fünf Sternen sehen: Die Antiparteien-Partei, die antrat, das Establishment aufzumischen, hat nicht nur jene üblichen Kompromisse geschlossen, die Regieren immer nötig macht.

Jetzt zwingt ausgerechnet ihr Gründer und Übervater Beppe Grillo, der sich lange aus der Politik heraushielt, sie zum radikalen Kurswechsel, in eine Regierung, in der sie absehbar nicht nur mit wenigen, sondern von weit rechts bis halblinks praktisch mit all jenen säße, gegen die sie einst entstand und ihren spektakulären Erfolg von 2018 einfuhr.

Italien wird also rasch eine neue Regierung bekommen.

Aber das ist keine gute Nachricht. Denn die Regierung Draghi wird nicht stabil sein. Und sie wird mehr als jede frühere „Techniker“-Regierung – dies ohnehin eine fromme Lüge – demokratischen Niedergang markieren.

Riesenkoalitionen sind kein Zeichen von Einheit, sondern ein Krisensymptom. Eine Demokratie ohne Alternativen ist keine. Aber diese Demokratiekrise spielt nicht nur in Rom. Dort ist sie nur sichtbarer.

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