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Meinung: Politik auf den Straßen Die 68er setzen sich ihre eigenen Denkmäler

Noch hakt es mit der Umbenennung eines Teils der Kochstraße im Stadtteil Kreuzberg in Rudi-Dutschke- Straße. Deshalb bleibt Zeit, an die Absurditäten und ideologischen Verklemmungen dieses Bereichs der Berliner Erinnerungskultur und -politik zu erinnern – und an einen handfesten Skandal, der immer noch auf seine Bereinigung wartet.

Noch hakt es mit der Umbenennung eines Teils der Kochstraße im Stadtteil Kreuzberg in Rudi-Dutschke- Straße. Deshalb bleibt Zeit, an die Absurditäten und ideologischen Verklemmungen dieses Bereichs der Berliner Erinnerungskultur und -politik zu erinnern – und an einen handfesten Skandal, der immer noch auf seine Bereinigung wartet. Dabei soll der Fall Rudi Dutschke nur insoweit eine Rolle spielen, als es in der Tat geboten ist zu unterscheiden – und zwar zwischen der Tatsache einerseits, dass er Opfer einer üblen Hetze geworden ist (als solches ist er zu beklagen und zu erinnern), andererseits aber der Frage, ob er in seinen politischen Anschauungen und Zielen wirklich so als Vorbild herausragt, dass er sozusagen zu den säkularen Altären der Verehrung erhoben werden soll (daran ist mit gutem Grund zu zweifeln). Da hilft auch kein Aufrechnen nach der Methode: Bekommst du deinen Albertz, bekommen wir unseren Dutschke – ärgern können wir den Springer-Konzern ohnedies mit beiden.

Nein, die Causa Dutschke erinnert vor allem an die aberwitzigen Grotesken der Berliner Politik mit den Straßennamen. Fast lachen mag man schon über die Fälle, über die der Historiker Heinrich August Winkler berichtete, der sich vor Jahren für die Erinnerung an den sozialdemokratischen Revisionisten Eduard Bernstein und den liberalen Bankier Ludwig Bamberger einsetzte. (Dass die Erinnerungsverweigerung ausgerechnet zwei jüdische Vorväter der unvollkommenen Parlamentarisierung des Kaiserreichs traf, haben die Opponenten vielleicht gar nicht kapiert.) Wat – Bernstein? Ha’m wir schon – hier in Britz: Bernsteinring, Sandsteinweg, Feldspatweg, Basaltweg … Und Bamberger? Ha’m wir ooch schon – in Schöneberg: Bamberger Straße, Kulmbacher Straße, Würzburger Straße …

Ein regelrechter Skandal aber ist es, dass die Stadt Berlin sich nach wie vor dem Gedenken an Matthias Erzberger verweigert, den Leiter der Waffenstillstandskommission nach dem Ersten Weltkrieg und nachmaligen Reichfinanzminister; Erzberger wurde 1921 von Rechtsextremisten ermordet. Die Evangelische Akademie zu Berlin erinnerte im Frühjahr 2000 in einer Vortragsreihe an die vier großen Politiker der Weimarer Zeit, die im Dienst für die Republik – wie auch Walter Rathenau – ermordet wurden oder sich aufrieben wie Gustav Stresemann und Friedrich Ebert. Über Erzberger, den einzigen der vier, an den in Berlin nichts erinnert, sprach damals der CDU-Politiker Heiner Geißler. Danach schrieben Geißler und ich einen Brief an den Regierenden Bürgermeister Diepgen mit der Bitte, „diesem durchaus beschämenden Zustand abzuhelfen und sich dafür einzusetzen, dass bei nächster Gelegenheit eine Straße nach Matthias Erzberger benannt wird, dem ersten Opfer des mörderischen Kampfes gegen die Republik“.

Die einzige Antwort, die wir darauf bekamen, war ein Schreiben der Senatskanzlei folgenden Inhalts: Die entsprechende Kommission habe beschlossen, dass – wegen der Unterrepräsentation von Frauennamen im Berliner Straßennetz – so lange keine Straßen nach Männern mehr benannt werden könnten, bis ein ungefähres Gleichgewicht erreicht sei. Ungelogen! Nun war anerkanntermaßen weder Heinrich Albertz noch Rudi Dutschke eine Frau – und deshalb ist es ein besonderes Ärgernis, wenn Erzberger, dem aufrichtigen Kämpfer für die Republik, immer noch eine Erinnerung verweigert wird, Rudi Dutschke aber, der Kämpfer gegen die wie auch immer unvollkommene Demokratie, hingegen schon ein Straßenschild bekommen soll. Hier setzt sich die 68er-Generation (West-)Berlins ihre eigenen ideologisch-provinziellen Denkmäler – nicht aber wahrt die Republik ihr historisches Gedächtnis so, wie es sich in einer Hauptstadt gehörte.

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