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Meinung: Politik im Blaumann

Die große Koalition verspricht solides Handwerk – das allein ist zu wenig

Bald hat dieses Land eine Regierung, der manches fehlt: Glanz und Gloria, Charme und Charisma, Sendungsbewusstsein und Stallgeruch. Am häufigsten führen die schwarz-roten Koalitionäre Worte wie „Kompromiss“ oder „Zweckbündnis“ im Mund, wahlweise reden sie vom „Machbaren“. Das klingt zerknirscht, gezwungen, etwas resignativ. Als Angela Merkel damals, als feststand, dass sie Kanzlerin wird, ganz verdutzt über die Frage war, ob sie Glück empfinde, war das symptomatisch. Glück, Stolz, Freude, Zuversicht: In solchen Kategorien denken und fühlen die neuen Regierungsvertreter offenbar nicht.

Ist das schlimm? Merkel will dem Land dienen, sagt sie. Versprochen werden Ehrlichkeit, solides Handwerk und Pragmatismus. Nicht Personen und deren Inszenierungen sollen im Vordergrund stehen, sondern die Arbeit. Vorbei ist die Zeit der Rotwein trinkenden, Zigarre rauchenden Toskana-Reisenden. Vorbei sind ideologische Zerreißproben, wie sie Rot-Grün vor dem Kosovokrieg durchlebte. Vorbei sind große weltpolitische Gesten wie das Nein Gerhard Schröders zum Irakkrieg. Vorbei ist die Epoche der markanten, sperrigen Biographien – von Joschka Fischer bis Otto Schily. Jetzt kommen kluge, sachkundige Verwalter ans Ruder. Sie schillern nicht und stoßen nicht ab. Das kann eine Tugend sein.

Die parlamentarische Demokratie gründet sich auf Wahlen, nicht auf charismatische Charaktere. Wirksame Buchhalter sind besser als unfähige Diven. Als Ausrede für Flickschusterei indes taugen Wahlergebnisse nicht. Wie zur Entschuldigung zeigen Merkel und Müntefering gern auf den 18. September. Der Wähler hat uns genötigt! Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Kaum einer, der CDU oder SPD ankreuzte, wollte die große Koalition. Sie war eine Folge der Wahlen, war aber nicht beabsichtigt. Was der Wähler wollte, ist unklar, obwohl die Demoskopen viele Statistiken parat haben.

Diese Unschärfe im Wählerwillen hätten die Großkoalitionäre sich zunutze machen sollen. Statt dessen setzte sich bei ihnen der Glaube durch, die Deutschen seien reformresistent, ja reformfeindlich. Allein deren Anti-Kirchhof-Impuls habe die Wahl entschieden. Ob das stimmt, ist fraglich. Doch selbst wenn: Ginge es in der Politik stets nach gefühlten Mehrheitsstimmungen, hätte sich nur selten etwas bewegt. Dann hätte es kein geeintes Europa gegeben, keine europäische Währung, keine Nato-Nachrüstung, keine Wiedervereinigung. In vielen wichtigen Momenten der deutschen Politik mussten Mehrheiten ignoriert werden. Ist das undemokratisch? Nur für den, der eine Regierung als bloßes Vollstreckungsorgan des Volkswillens versteht. Das jedoch wäre blanker Populismus.

Solide Handwerker tun ihre Pflicht, mehr nicht. Phantasie und Wagemut sind ihnen instinktiv zuwider. Auch dem schwarz-roten Zweckbündnis fehlt ein Ziel. In freiwilliger Selbstbescheidung versteht es sich in erster Linie als Reparaturwerkstatt. Zunächst soll der Karren anspringen. Wohin die Reise gehen soll, wissen die Mechaniker nicht. All jene Bedürfnisse, die sich um Werte und gesellschaftliche Orientierung ranken, bleiben unbefriedigt. Als Religionsersatz taugt Politik zwar nicht. Aber etwas Geschmack, Farbe und Gefühl sollte sie haben. Zumindest ist die Sehnsucht danach legitim.

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