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Der Unmut wächst: Teilnehmer an einer Demonstration der Organisation "Echte Demokratie jetzt!" in München.

© dapd

Politik in der Krise: Die Demokratie braucht Tapferkeit

Niemand hat mehr Lust, Verantwortung zu übernehmen. Das Ergebnis ist eine Politik der Sachzwänge und der Alternativlosigkeit ökonomischer Regelungen. Stephan-Andreas Casdorff plädiert für mehr Mut.

Das Ende der Welt, wie wir sie kennen – oder: wider den Verlust der Tapferkeit. Politiker verspielen ihre Glaubwürdigkeit, Politik wird delegiert, outgesourct. Wir halten sie weg von uns. Wie viele gehen schon nicht mehr wählen? Wie viele warten inzwischen bis zum allerletzten Moment, um sich dann im Zweifel dagegen zu entscheiden? Es sind immer mehr, in allen Ländern Europas. Der neueste Trend: Technokraten sollen das Unangenehme erledigen, diese lästig anstrengende Sache der res publica, die Mehrheit will angenehmer leben und nicht weiter behelligt werden. Wenn doch, dann gerät das demokratische Gefüge aus dem Gleichgewicht. Und wir alle gleich mit.

Überall ein Zögern, Verantwortung zu übernehmen, sich einzubringen, das Gemeinschaftliche voranzubringen. Vorgeführt von Politikern, auf fruchtbaren Boden gefallen in der Gesamtgesellschaft. Das ist die Folge einer Politik der bewussten Singularisierung, der Interessenpolitik, in der Einzelinteressen regieren. Das belegt beispielhaft die Krise der deutschen Freidemokraten, die mit der Vertretung eines einzelnen Interesses groß geworden ist; gelingt es nicht, das rasch zu verwirklichen, erlischt das Interesse entsprechend. Gerade weil das Reiz-Reaktions-Schema greift, kehren verlorene Ideale nicht oder, im besseren Fall, nicht so schnell zurück.

Darum besteht die Gefahr einer Vorherrschaft des Ökonomischen vor dem Politischen fort. Sie geht aus vom sogenannten Sachzwang, von der behaupteten Alternativlosigkeit ökonomischer Regelungen, die zuerst getroffen werden müssten, ehe politische folgen könnten. Wie gerade eklatant am Fall Europas zu besichtigen ist.

Erhard Eppler schrieb in weiser Voraussicht vor zwei Jahren: „Die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer wird sich beschleunigen, und niemand weiß, ob sich die Konflikte, die dann entstehen, noch in demokratischen Formen austragen lassen. … Wir könnten von der Finanzkrise über die Wirtschaftskrise in eine Staatskrise schlittern.“ Oder, anders: in eine Demokratiekrise, weil sich zu viele darauf verlassen, dass die als eine Art Private Public Partnership funktionieren wird. Parallel dazu verbreitet die Erkenntnis Schrecken, dass es Jahre dauern könnte, bis sich die europäische Wirtschaft wieder erholt haben wird. Das wird dann ähnlich für die deutsche Wirtschaft behauptet, wo 0,5 Prozent Wachstum bei Ökonomen ungeachtet aller Disputationen als bedrohlich wenig gelten.

Beim so arg zelebrierten Primat des Ökonomischen durch aktive Politiker gewinnt dann scheinbar überraschend einer wie Helmut Schmidt Konjunktur. Nur scheinbar, weil andererseits das unbestimmte Gefühl wächst, dass Tapferkeit vor der Sache eine Tugend sein kann. Dass sie die Politiker von heute einer lehren sollte, weil es ohne Politiker dann doch nicht geht. Weil Politik die Sache bestimmen muss und nicht vom behaupteten Sachzwang dominiert werden darf. Nicht zu vergessen: Märkte, die Finanzmärkte zumal, sind Menschen mit Interessen, die zu fördern oder denen Einhalt zu gebieten ist.

Sonst bricht zusammen, was wir kennen, das ganze System der Demokratie. Die Welt, wir wir sie kennen. Dagegen muss man angehen, politisch, tapfer, weil niemand ein besseres System hat, mag das bestehende auch unvollkommen sein.

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