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Politik und Vielfalt: Andere im Amt

Deutschland ist weit gekommen: eine geschiedene Christdemokratin aus Ostdeutschland ist Kanzlerin, ein Homosexueller Außenminister, ein vietnamesisch-stämmiger Freidemokrat Vizekanzler, ein Mann im Rollstuhl führt das Finanzministerium – natürliche, selbstverständliche Vielfalt.

Deutschland ist weit gekommen seit Helmut Kohl, also seit dem Ende seiner Amtszeit vor allem. Damit ist jetzt einmal nicht gemeint, dass die rot-grüne Koalition von 1998 an alle die neoliberalen Veränderungen im System, besonders im Sozialsystem und bei der Senkung des Spitzensteuersatzes, vorgenommen hat, die Schwarz-Gelb unter Kohl auch wegen Kohl nicht vornehmen wollte. Dafür war der Altkanzler viel zu sehr rheinisch-sozialer Katholik einerseits und viel zu sehr Partei- und Machtpolitiker andererseits.

Nein, das alles ist zwar wichtig, sehr wichtig auch für den kommenden Wahlkampf, weil es sich lohnt daran zu erinnern, wenn die Union Rot-Grün wieder als gefährliche Linke darstellen will. Links ist doch bekanntermaßen, dass man gesellschaftliche Fragen für vorrangig hält. Und gesellschaftlich interessant ist, dass seit den Kohl-Jahren jemand regiert, an entscheidender Stelle mitregiert, der im Rollstuhl sitzt.

Was anfangs ein großes Problem zu sein schien, eine Zumutung, unterliegt dem Wandel der gesellschaftlichen Grundeinstellung: Alle können es sehen, alle Tage, und keinen stört’s noch. Wenn das kein Fortschritt ist. Vorbei sind die Zeiten, da Schwächen, Gebrechen versteckt werden mussten; da die Beanspruchungen durch das Amt alles sein durften, nur kein Gesprächsthema. Oder hat jemals einer gesagt, dass er im Amt wegen einer Herzschwäche umgefallen wäre? Nein. Das Gesetz des Schweigens gilt bei den Älteren, den Altvorderen, bis heute. Aber die Jüngeren, die gehen anders damit um.

Der beste, schönste Hinweis darauf ist, dass Malu Dreyer für die SPD neue Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz werden soll. Das ist das Amt in dem Land, aus dem heraus Kohl seine große Karriere startete. Welch ein wunderbarer historischer Zufall. Dreyer ist fraglos befähigt, Regierungschefin zu werden – und sie hat keinerlei Probleme zu sagen, dass sie es auch aus dem „Rolli“ tun wird, weil sie Multiple Sklerose hat. Aus dem Rollstuhl! Eine Regierungschefin!

Deutschland ist weit gekommen seit Helmut Kohl. Eine geschiedene Christdemokratin aus Ostdeutschland ist Kanzlerin, ein Homosexueller Außenminister, ein vietnamesisch-stämmiger Freidemokrat Vizekanzler, ein Mann im Rollstuhl führt das Finanzministerium – Vielfalt, natürliche, selbstverständliche. Und wer in die Bundesländer schaut, sieht noch mehr.

Wie jetzt Malu Dreyer.

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