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© dpa

Politiker: Warum Helmut Schmidt cool ist

Till Schweiger? Hape Kerkeling? Weit gefehlt! Mit fast 90 ist Helmut Schmidt Deutschlands "coolster Kerl" - sogar 20-Jährige kennen ihn. Was das über die Lage im Land verrät.

Helmut Schmidt ist Kult. In einer Umfrage wurde er kürzlich zum „coolsten Kerl“ Deutschlands gekürt – von den Männern noch vor Till Schweiger, von den Frauen vor Hape Kerkeling. Sogar 20-Jährige wissen mit dem Namen Helmut Schmidt etwas anzufangen, keine Selbstverständlichkeit bei dem Schwinden politischer Bildung im Land. „Cool“ finden sie, dass sich Helmut Schmidt auch in einem Theater in Hamburg nicht das Rauchen verbieten lässt, was ihm eine Anzeige einer Nichtraucherinitiative wegen Körperverletzung einbrachte. Am Ende von Gesprächssendungen ist der Altbundeskanzler stets in dichte Rauchschwaden gehüllt. Als Helmut Schmidt in der Kunsthalle Bremen eine Rede hielt, war deren Direktor hell erfreut, schwitzte aber auch Blut und Wasser aus Furcht, jeden Augenblick könnten die Rauchmelder anspringen.

Eigentlich ist Helmut Schmidt eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte: Vor 26 Jahren – in Zeiten der Globalisierung eine politische Ewigkeit – verlor er sein bedeutsamstes Amt, das des Bundeskanzlers; seit 22 Jahren gehört er nicht mehr dem Parlament an. Die ersten sozialdemokratischen Kanzler dieser Republik, Willy Brandt und Helmut Schmidt, haben ganze Generationen politisch geprägt. Brandt öffnete die SPD für die Achtundsechziger-Bewegung und wurde auch vielen Angehörigen der „Generation Z“, das sind die „Zaungäste“ der Achtundsechziger, zu einer Leitfigur. Unter Helmut Schmidt wurden die deutschen Babyboomer groß, die Kinder aus einer Zeit, als das Kinderkriegen noch geboomt hat. Wer heute zwischen Anfang 40 und Anfang 50 ist, erlebte die zweite Phase der sozial-liberalen Koalition, die unter Schmidts Führung stand, bewusst mit.

Zu Kindheit und Jugend gehörten das Sandmännchen, Rosi Mittermaier, Ulrike Meyfarth, Franz Beckenbauer, Ilja Richter, Erik Ode, Christiane F. – und Helmut Schmidt. Viele Babyboomer entwickelten ihr politisches Bewusstsein sogar in Abgrenzung zu dieser Koalition und ihrem Kanzler – sie nahmen an Demonstrationen gegen die sogenannte Nachrüstung von Mittelstreckenwaffen teil, etwa an den kilometerlangen „Menschenketten“. Helmut Schmidt löste das letzte politische Großerlebnis der alten Bundesrepublik aus.

Und Helmut Schmidt bleibt eine wichtige politische Stimme. Sein Wort findet Gehör. Kein deutscher Politiker der Nachkriegszeit hat so viele Bücher verkauft, keiner beschert den Gesprächssendungen von Sandra Maischberger, Reinhold Beckmann und Johannes B. Kerner so hohe Quoten. Seit sich Helmut Schmidt mit Giovanni di Lorenzo im „Zeit“-Magazin „auf eine Zigarette“ trifft, wird das Heft vom Ende her, wo die Kolumne steht, gelesen.

Was steckt hinter der Popularität des fast 90-Jährigen, der in seiner politisch aktiven Zeit mit Etiketten wie „Macher“ und „Schmidt-Schnauze“ leben musste? Und was sagt diese Verehrung über die Stimmung im Land, das auch Respektspersonen von Amts wegen kennt, etwa einen Bundespräsidenten Horst Köhler und seine Gegenkandidatin Gesine Schwan oder eine Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust versuchte Schmidts Beliebtheit einmal auf die Spur zu kommen. Die Leute wissen, so von Beust sinngemäß, Helmut Schmidt ist ein besonderer Charakter, bestimmt kein einfacher Mensch. „Wir Deutsche sehen in ihm all das, was gut für uns ist.“ Fleiß, Anstand, Ehrlichkeit, Fairness, aber auch eine typisch hamburgerische Art des Charmes und des Humors. „Nicht immer unverletzend, aber klar und eindeutig.“ Von Beust hätte auch die Worte Kontinuität und Geradheit nehmen können. Noch immer leben Loki und Helmut Schmidt, die sich als Kinder kennen- und als Jugendliche lieben lernten, im Reihenhaus der „Neuen Heimat“ in Hamburg-Langenhorn und einem Häuschen am Brahmsee. Der „Zeit“-Journalist Theo Sommer verglich die zwei mit Philemon und Baucis, in der Bedeutung, wie Goethe das Namenspaar in seinen Werken gebraucht hat: zwei Hochbetagte, die nicht nur bis zu ihrem Ende gemeinsam leben, sondern auch miteinander sterben wollen. Das wirkt wie ein Anachronismus in einer Zeit, da die Ehen früherer und aktueller Spitzenpolitiker wie Joschka Fischer, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder aus dem Stegreif nicht zu zählen sind. Die Bundesbürger nehmen am letzten Lebensabschnitt von Loki und Helmut Schmidt lebhaft Anteil.

Weiter empfängt Helmut Schmidt Respekt für die Geradheit seiner moralischen und politischen Überzeugungen seit vielen Jahrzehnten und die Geradheit seiner Biografie. Helmut Schmidt blieb den moralischen Grundsätzen, die er an sich und andere Politiker stellte, treu – so sehr, dass er darüber politisch stürzte. Weil Schmidt von der Richtigkeit des Nato-Doppelbeschlusses überzeugt war, opferte er dafür nichts weniger als seine Regierung. Ein CDU-Kanzler, Helmut Kohl, musste die Entscheidung umsetzen.

Nach seinem politischen Abtritt kämpfte Schmidt weiter mit offenem Visier – anders als Helmut Kohl, dem sein „Ehrenwort“ bei CDU-Parteispendern über alles ging, und er nahm auch keinen Job mit „Gschmäckle“ an, wie die Schwaben zu sagen pflegen. Kohls beliebtester Politiker, Norbert Blüm, unter Kohl viele Jahre für das Gesundheitsressort zuständig, machte plötzlich Werbung für den Arzneimittelhersteller Hexal – vielleicht um seine Rente, die er einmal „sicher“ nannte, aufzubessern? Helmut Schmidts sozialdemokratischer Nachfolger im Amt, Gerhard Schröder, kam über einen dienstlichen Kontakt – ein Bundeskanzler trifft zwangsläufig den russischen Präsidenten – zu einer monetär einträglichen Anschlussverwendung, wurde Aufsichtsratsvorsitzender der North European Gas Pipeline Company, an der der russische Gasprom-Konzern maßgeblich beteiligt ist. Zwar hat auch ein Bundeskanzler Helmut Schmidt versucht, eine Amnestie für Parteispenden-Sammler durchzusetzen, aber er sagte nicht „Basta“, sondern ruderte nach parteiinternem Widerstand zurück. Und von seinem Millionen-Vermögen, über das Helmut Schmidt dank seiner Buchverkäufe und Reden-Auftritte verfügt, gab er nicht wenig an die von ihm mitgegründete Deutsche Nationalstiftung.

Ole von Beust hat auch recht damit, dass Helmut Schmidt mehr Humor zeigt als früher. Der alte Schmidt tritt sympathischer, liebenswürdiger auf. Von Angela Merkel sagte er kürzlich, sie sei eine bessere Kanzlerin als Kurt Georg Kiesinger. Auch wenn Kiesinger nur ein mittelmäßiger Kanzler war, kommt das Wort aus Schmidts Mund, dem selten ein Lob entfährt, geradezu einer Adelung gleich. Die neue Freundlichkeit ist aber nicht zu verwechseln mit einer Milde im Urteil. In seinen politischen Auffassungen wurde Schmidt keinesfalls milder. Seine Urteile wirken immer noch wie kurz vorher am Schleifstein gewetzt.

Auslandseinsätze der Bundeswehr? Deutsche Soldaten haben in Afghanistan oder anderswo nichts zu suchen. Russlands Putin als Gefahr für den Weltfrieden? Noch nie war „Moskau“ so demokratisch wie heute. Ein Olympia-Boykott wegen der Unterdrückung des tibetischen Volkes? Solche Protestaktionen bringen nichts. Helmut Schmidt, der seit vielen Jahren China als dritte Weltmacht voraussagt, nimmt sogar das kommunistische Regime für das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Schutz. Die Machthaber wurden von Studenten provoziert und mussten handeln.

Der Atomkraft den Rücken kehren, weil „Tschernobyl“ jederzeit passieren kann? „Es gibt keine Energie und nichts auf der Welt ohne Risiken, nicht einmal die Liebe.“ Rente mit 67? Nein, mit 70. Das „Altersruhegeld“ soll eine Stütze sein für die Zeit, in der ein Mensch nicht mehr arbeiten kann. Und weil die Menschen heute gesünder sind als früher, sollen sie länger arbeiten. Ungerechtes System „Hartz IV“? Den Arbeitslosen geht es in diesem Staat nicht wirklich schlecht. „Manches, was man heute als Armut beklagt, wäre in meiner Kindheit beinahe kleinbürgerlicher Wohlstand gewesen.“ Ein Wahlversprechen brechen wie in Hessen, um eine „gefühlte“ Siegerin zur Ministerpräsidentin zu machen? Wahlversprechen dürfen nicht gebrochen werden, unter keinen Umständen.

Hier spricht und schreibt einer, der sich nur noch seinen Überzeugungen, keiner Parteilinie mehr verpflichtet weiß. „Es ist immer das eigene Urteil, auf das es ankommt“, so Helmut Schmidt in seiner kürzlichen Dankesrede zur Verleihung des „Bild“-Osgars. Er selbst schweigt natürlich über die krassen Fehlurteile, die ihm im Lauf seines politischen Lebens unterlaufen sind. Die ersten Anhänger der grünen Bewegung nannte er „Umweltidioten“ und förderte mit seiner Sturheit die Bildung einer vierten Partei. Als studierter Volkswirtschaftler hätte Helmut Schmidt das Scheitern des von Adenauer geschlossenen „Generationenvertrags“ voraussehen können – stattdessen entließ er einmal seinen Arbeitsminister, als die Regierung Schmidt zunächst deutlich höhere Renten in Aussicht gestellt, diese Erhöhung zurückgenommen und schließlich die Rücknahme der Erhöhung zurückgenommen hat. Und wie war das noch mit dem Olympia-Boykott von Moskau 1980? Der damalige Bundeskanzler Schmidt gab dem Drängen von US-Präsident Jimmy Carter nach.

Auf solche Widersprüche hingewiesen, reagiert Helmut Schmidt gereizt. Er will „Mister Klartext“ sein in einer Zeit, da die Bundesregierung als Große Koalition nur mühsam Kompromisse schließen kann. Und in einer Zeit, da Führungspolitiker hinter dem an sie gesetzten Anspruch zurückbleiben. „Es ist klar, dass die hessische SPD nicht zweimal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand rennen wird“, sagte Kurt Beck, nachdem Andrea Ypsilanti mit seiner Zustimmung das Versprechen, eine Regierung ohne die Linke zu bilden, gebrochen hat. Kurt Beck ließ den Vertrauensbruch zu – und muss Monate später fürchten, dass Ypsilanti schon wieder ausschert. Bei einem solchen Zickzackkurs wirken politische Urteile eines Helmut Schmidt auf viele wohltuend.

Auch mit seinem Urteil über Weggefährten und Zeitgenossen wird Helmut Schmidt gern gehört, denn auch dabei nimmt er keine Rücksichten mehr. Er kreidet Willy Brandt an, dass er drei Mal in seinem Leben geheiratet hat. „Das macht ein Bundeskanzler nicht!“ Er neidet Brandt das scheinbar leichtere Leben, schon weil er – anders als Schmidt – die Nazi-Diktatur nicht in Deutschland selbst erleben musste. Dagegen bleibt ihm der ewig geschmähte Herbert Wehner als „ganz zuverlässiger politischer Partner“ in Erinnerung.

Gerhard Schröder, der als Vorsitzender der Jungsozialisten beim damaligen Bundeskanzler Schmidt einen Termin hatte, hielt er für einen „Karrieristen“. Von Helmut Kohl pflegte Schmidt lakonisch zu sagen: „Der bringt’s nicht.“ Schmidt anerkennt Kohls historische Leistung, die deutsche Wiedervereinigung zustandegebracht zu haben, aber schon ihren Vollzug, etwa die frühe Währungsunion, hielt er für nichts weniger als dilettantisch.

Überhaupt verfügen, so Schmidts Credo, die Merkels und Becks und Westerwelles nicht mehr über die politische Qualität der „Generation Schmidt“, denn „normale Zeiten bringen normale Politiker hervor“. Einer wie Helmut Schmidt ist „durch die Scheiße des Krieges“ gegangen, während ein Gerhard Schröder Karriere machen wollte und machen konnte. Die Politiker nach Schröder haben es noch leichter – häufig übten sie vor dem Abgeordneten-Dasein gar keinen ordentlichen Beruf mehr aus. Ist es also nur noch Mittelmaß, das uns regiert? Helmut Schmidt wird dann doch milder im Urteil. Horst Köhler soll Bundespräsident bleiben, empfiehlt er. Trotzdem erinnert er hier an Konrad Adenauer, der nach seiner politisch aktiven Zeit ebenfalls nur noch politischen Verfall konstatiert hat

Trotz der hohen Popularität wurmt es Helmut Schmidt bis heute, dass sein politisches Wirken lange im Schatten seines Amtsvorgängers Willy Brandt stand – eines Mannes, um dessen Freundschaft Schmidt zunächst vergeblich gebuhlt hat, von dem er aber wegen tiefer Meinungsverschiedenheiten abgerückt ist. Brandt ging für eine historische Tat, die Neue Ostpolitik, in die Geschichte ein, von Helmut Schmidt hieß es lange, er habe seine Sache in schwierigen Zeiten, als der RAF-Terrorismus die Republik heimsuchte, ordentlich gemacht. Im Alter tritt der Moralist in Helmut Schmidt deutlicher denn je und dabei beispielgebend hervor. Er gilt den Deutschen als Bundeskanzlerpräsident.

Manchmal ist sogar die Geschichte gerecht.

Martin Rupps

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