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Politische Morde: Russischer Rechtsnihilismus

Nach dem Mord an Sarema Sadulajewa und ihrem Mann in Tschetschenien: Es ist an der Zeit, Dmitri Medwedew endlich beim Wort zu nehmen.

Die Nachricht aus Russland wirkt auf entsetzliche Weise vertraut. Wieder wurde in Tschetschenien eine Menschenrechtlerin entführt und erschossen. Wer war diese Frau? Sarema Sadulajewa, die gemeinsam mit ihrem Mann ermordet wurde, war keine Journalistin, die sich mit den Machenschaften der Machthaber in Grosny befasste – wie die 2006 in Moskau ermordete Anna Politkowskaja. Sie sammelte auch kein Material über Verbrechen an tschetschenischen Zivilisten, wie die vor vier Wochen getötete Menschenrechtlerin Natalia Estemirowa. Sarema Sadulajewa wollte den Kindern und Jugendlichen Tschetscheniens, die fast nur Krieg und Gewalt kennen, eine Zukunft geben. Sie setzte sich dafür ein, dass von Minen verstümmelte Kinder mithilfe von Prothesen wieder laufen konnten. Wen hat sie sich dadurch zum Feind gemacht?

Wer die Täter sind, wissen wir nicht. Und es ist zu fürchten, dass wir es nie erfahren werden. Denn eine ganze Serie von politischen Morden in Russland – verübt im Nordkaukasus oder auf offener Straße in Moskau – blieb ungesühnt, die Täter sind davongekommen. Im Fall Politkowskaja wird auch der zweite Prozess zur Farce, auf der Anklagebank sitzen allem Anschein nach nicht die Täter, schon gar nicht die Hintermänner. So hat jedes dieser Verbrechen fatale Folgen: Unter Menschenrechtlern (nicht nur, aber vor allem in Tschetschenien) verstärkt sich das Klima der Angst. Werden sie durch das Versagen der russischen Behörden, die Mörder zu finden, durch das Muster der Straflosigkeit nicht faktisch für vogelfrei erklärt? Die Menschenrechtsorganisation Memorial hat ihre Arbeit in Tschetschenien bereits eingestellt.

In der russischen Kaukasusrepublik ist in den vergangenen Jahren ein Staat im Staate entstanden, in dem Ramsan Kadyrow willkürlich herrscht. Ihn machte Memorial verantwortlich für den Mord an Estemirowa. Kadyrow wies dies zurück, sprach der Menschenrechtlerin aber auch jegliche Ehre und Würde ab. Das erinnert nur zu sehr an Wladimir Putins abfällige Worte über die ermordete Anna Politkowskaja und wirkt wie ein Freibrief für die Mörder.

Wieder einmal wird sich der russische Präsident Dmitri Medwedew unbequeme Fragen gefallen lassen müssen, wenn er am Freitag in Sotschi Angela Merkel empfängt. Als er die Kanzlerin vor einem Monat in München traf, ging es auch um einen Mord: am Vortag war Natalia Estemirowa erschossen worden. Merkel äußerte ihre Bestürzung, Medwedew versprach eine gründliche Untersuchung.

Soll dieses Schauspiel nun noch einmal aufgeführt werden? Es reicht nicht mehr, wenn westliche Regierungen ihr Entsetzen angesichts dieser Morde äußern und dann zur Tagesordnung übergehen. Die bedrohten Menschenrechtler im Nordkaukasus brauchen unsere tatkräftige Unterstützung. Hatte nicht Medwedew selbst vor seinem Amtsantritt dem „Rechtsnihilismus“ in seinem Land den Kampf angesagt? Es ist an der Zeit, ihn beim Wort zu nehmen.

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