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PORTRÄT ANTJE VOLLMER GRÜNEN-POLITIKERIN:: „Wir wollten einen Mythos knacken“

Darf man ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit den Orden eines anderen Landes annehmen? Antje Vollmer wird diese Frage kaum umtreiben, wenn sie am morgigen Freitag in Prag aus der Hand von Tschechiens Außenminister Fürst Karl zu Schwarzenberg die Auszeichnung „Gratias agit“ erhält.

Von Hans Monath

Darf man ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit den Orden eines anderen Landes annehmen? Antje Vollmer wird diese Frage kaum umtreiben, wenn sie am morgigen Freitag in Prag aus der Hand von Tschechiens Außenminister Fürst Karl zu Schwarzenberg die Auszeichnung „Gratias agit“ erhält. Die frühere Vizepräsidentin des Bundestages hat sich noch nie von Stilfragen aufhalten lassen, wenn es um große Lösungen ging. Im Gegenteil: Der kalkulierte Bruch mit betonharten Wahrnehmungsmustern, die Auflösung von Feindbildern war gleichsam der Markenkern ihrer politischen Vorstöße.

Die Prager Auszeichnung gilt einer deutschen Politikerin, die seit Mitte der 90er Jahre für die deutsch-tschechische Aussöhnung kämpfte. Die ungelösten Fragen zwischen beiden Nationen – Stichwort Benesch-Dekrete und Eigentumsansprüche deutscher Vertriebenen – drohten aus tschechischer Sicht den Weg der Republik nach Europa zu blockieren. Die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl wollte aus Rücksicht auf die Vertriebenen die heiklen Fragen nicht anpacken.

Die promovierte Theologin suchte nach Möglichkeiten, beiden Seiten einen Weg aus den Sackgassen zu ermöglichen. Sie ging, was viele in den eigenen Reihen empörte, auf die Vertriebenen zu: Als erste Grüne sprach sie auf einem Treffen der Sudetendeutschen. Zu den historisch und moralisch fragwürdigen Gewissheiten der Linken gehörte damals die Überzeugung, die Vertreibung sei kein Unrecht, sondern ein Ausgleich für NS-Verbrechen gewesen.

Mit empörten Reaktionen umgehen musste die Grünen-Politikerin schon Jahre zuvor, als sie die sogenannte Dialoginitiative zwischen dem Staat und der RAF ins Leben rief. Ihr ging es um ein Ende der Gewalt, aber viele störte die vermeintliche Gleichsetzung von Demokraten und Terroristen. „Wir wollten den Mythos RAF knacken“, sagte sie im Rückblick.

Der eigenen Partei gibt die Publizistin heute nur hin und wieder ungebetene Ratschläge. So hält sie den Afghanistaneinsatz für falsch. „Terrorismus lässt sich nicht militärisch besiegen“, heißt ihre Überzeugung. Spätestens an diesem Punkt dürfte die Grünen-Politikerin in scharfem Dissens zu ihrem Laudator Fürst Schwarzenberg geraten. Wie in anderen ehemaligen Satrapenstaaten der Sowjets vertrauen die Tschechen dem Schutzversprechen der USA und ihrer harten Linie gegen die Feinde der Demokratie. Hans Monath

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