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PORTRÄT GUIDO WESTERWELLE FDP-CHEF UND AUSSENMINISTER:: "Die geistig-politische Wende"

Woher nimmt der Kanzlerin-Stellvertreter von der FDP acht Wochen nach Amtsantritt den Hochmut, das Land geistig-politisch wenden zu wollen?

Von Antje Sirleschtov

Als Helmut Kohl die Deutschen zu Beginn der 80er Jahre zur „geistig-moralischen Wende“ aufrief, sannen die politischen Feuilletons lange nach, wohin der Mann das Land nach Willy Brandt und Helmut Schmidt mit seiner „politisch-geistigen Führung“ zu wenden gedenke. Weniger Anspruchsdenken, mehr Leistungsbereitschaft: Das waren Schlüsselbegriffe, die Kohl selbst mit seiner Wende verband. Was den Deutschen wenig später zwar die Kürzung von zahlreichen Sozialleistungen einbrachte – allerdings keinerlei Wende, weder strukturell noch prinzipiell und schon gar nicht geistig. Und was vom „moralischen“ Wenden des Altkanzlers zu halten war, das notierten die Geschichtsschreiber bekanntlich später unter dem Begriff „Parteispendenaffäre“ auf.

Nun also die „geistig-politische Wende“. Guido Westerwelle, Chefliberaler und seit Anfang November auch Chefdiplomat, tritt in die Kohl’schen Kanzler-Fußstapfen. Nur zur Hälfte, selbstverständlich, der Mann ist schließlich nur Vizekanzler, in Körpermaßen verglichen nur eine halbe Portion und auch sein FDP-Wahlergebnis im letzten Herbst lag (sehr grob geschätzt) nur im Hälftigen. Was vielleicht den fehlenden Anspruch zur „moralischen“ Erneuerung in Westerwelles „geistiger“ Wende erklärt. Das wäre dann doch wohl ein bisschen sehr dicke gewesen, so kurz nach dem Beinahezusammenbruch der Weltmärkte, ausgelöst vom ungehemmten Leistungsstreben Einzelner und dann ausgelöffelt von allen.

Woher der Kanzlerin-Stellvertreter von der FDP aber acht Wochen nach Amtsantritt den Hochmut nimmt, das Land geistig-politisch wenden zu wollen, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Westerwelle weilte nach der Bundestagswahl erst ein paar Wochen im Äußeren, um danach ein paar Tage im Privaten zu ruhen. Nun ist er zurück in der Innenpolitik. Das ist nichts Überraschendes, er hatte schließlich angekündigt, nach Dreikönig wieder innerlandes politisch tätig werden zu wollen. Dennoch birgt es womöglich einen ersten Hinweis auf der Suche nach Sinn und Ursache für die „geistige-politische Wende“. Schließlich musste der Reisende Westerwelle zwei Monate lang mitansehen, wie die geplante Steuerstrukturreform 2011 mit 24 Milliarden Euro Entlastung langsam den Bach herunterging. Sein Wahlversprechen, sein Koalitionsziel, womöglich seine gewichtigste Amtsdaseinsberechtigung: ad absurdum geführt von der kriselnden Realität, langsam aber sicher geschrotet von den eigenen Koalitionspartnern.

Da ist es für einen wie Westerwelle hohe Zeit, das Ruder herumzureißen. Mit Nachdruck und begleitet von dieser etwas besserwisserisch-beleidigten Attitüde, die so oft mitschwingt, wenn der Mann aus kleinen Godesberger Verhältnissen auf seinem Marsch ins Zentrum der Macht den Leuten die Welt erklärt. Guido Westerwelle ist jetzt (beinahe) ganz oben angekommen und sinnt bereits darüber nach, wie er dort bleiben kann. Am besten durch Sinngebung des eigenen Tuns. Viel Sinn, viel Daseinsberechtigung, viel Wahlerfolg: Das ist wohl der Antrieb für die „geistig-politische Wende“.

Bleibt zu fragen, wohin Deutschland blau-gelb gewendet werden soll. Zunächst „politisch“, was einfach übersetzt werden kann mit Führung, deren Abwesenheit Westerwelle der schwarz-roten Koalition vorgeworfen hat und die er nun ins Schwarz-Gelbe implantieren will. Und geistig? Da ist die Richtungsbestimmung noch leichter: Die „staatsorientierte Umverteilungspolitik zulasten der arbeitenden Bevölkerung und der Mittelschicht“ soll ein Ende haben. Zu deutsch: Steuersenkung.

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