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Porträt Inge Deutschkron:: „Es gibt auch heute noch Orte, die ich meide“

Für so ein Leben braucht es Mut und Stärke. Aber es wäre wohl anders verlaufen ohne eine Portion sehr berlinischer Lust am Streit.

Für so ein Leben braucht es Mut und Stärke. Aber es wäre wohl anders verlaufen ohne eine Portion sehr berlinischer Lust am Streit. Sie leuchtet noch heute auf, wenn Inge Deutschkron, klein, tiefroter Schopf, dunkel timbriertes Berliner Mundwerk mit Begabung zum Lachen, aus ihrer Zeit in Bonn erzählt, wo sie von Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre für die israelische Zeitung „Maariv“ arbeitete. Kaum anzunehmen, dass sie sonst den Kollegen geohrfeigt hätte, der es nach einer antisemitischen Welle 1959 witzig fand, sich im Karneval als Karikatur eines Juden zu verkleiden. Die Ohrfeige, erinnert sich Deutschkron, habe ihr die völlige Isolation im Bonner Pressecorps eingetragen.

Kaum anzunehmen, dass sie nach Jahren in England ohne Angriffslust überhaupt zurückgekommen wäre nach Deutschland, das ihren Vater in die Emigration und sie und ihre Mutter auf Jahre ins Untergrundleben der Berliner Juden gezwungen hatte. Aber sie hatte ja auch Hoffnung in die junge Bundesrepublik gesetzt, deren Chronistin sie jetzt wurde in der Stadt am Rhein, mit der die Großstädterin nie warm wurde. Nun erlebte sie, dass Alt-Nazis Karrieren im Bundespresseamt und im Auswärtigen Amt hinlegten, während jüdische Diplomaten die bewussten zwölf Jahre in ihren Lebensläufen vorsichtshalber verschwiegen.

Sie hat sich nicht abgefunden und sich mit ihren Mitteln dagegen gestemmt. Erst als Journalistin – sie wanderte 1972 nach Israel aus, entnervt von der Bonner Politik und entsetzt von der antiisraelischen Agitation der von ihr begrüßten Studentenbewegung – und schließlich als Schriftstellerin. Als das Berliner Grips-Theater ihr Erinnerungsbuch „Ich trug den gelben Stern“ 1988 auf die Bühne brachte („Ab heute heißt du Sara“), zog es sie wieder zurück in ihre Stadt. Seit 2001 hat Inge Deutschkron ihren Wohnsitz wieder in Berlin.

Und engagiert sich dort wie eh und je: für die Einrichtung eines Museums in der früheren Blindenwerkstatt von Otto Weidt etwa, in der sie und ihre Mutter wie viele andere Juden zwischen 1941 und 1943 Zuflucht fanden. Und immer wieder als Zeitzeugin, die vor Schulklassen von ihren Erlebnissen vor und nach 1945 berichtet.

Am heutigen Mittwoch hält die inzwischen 90-Jährige im Bundestag die Rede zum Holocaust-Gedenktag – in Berlin, das sie liebt. Und fürchtet. Es gebe in Berlin „auch heute noch Orte, die ich meide, weil dort schreckliche Sachen passiert sind, die ich nicht vergessen kann“. Andrea Dernbach

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