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Porträt: Justin Bieber: "Sag’ niemals nie"

Der kanadische Sänger Justin Bieber ist ein blasser, schmaler Junge mit in die Stirn gekämmten Haaren, der weltweit Millionen Menschen berührt.

Als der amerikanische TV-Entertainer Steven Colbert vergangenes Jahr für einen Grammy nominiert war – er hatte eine CD mit Weihnachtsliedern aufgenommen –, begegnete er auf dem roten Teppich einem 16-jährigen Knaben aus Kanada. Fotografen schrien: ein gemeinsames Foto! Colbert legte seinen Arm väterlich um den Jungen, ein Lächeln. Blitz.

Später, in seiner Sendung, zeigte Colbert das Foto voller Stolz. Seht her, sagte er, da schlug meine große Stunde, „als ich Justin Bieber traf und ihn berührte“. Dann stockte Colbert kurz. Was hatte er da eben gesagt? Darf man das, einen 16-Jährigen „berühren“? Dann wandte er sich an die Regie, man möge den Satz unbedingt herausschneiden. „I have never touched Justin Bieber!“

Es ist ein blasser, schmaler Junge mit in die Stirn gekämmten Haaren, der weltweit Millionen Menschen berührt. Statt in der Pubertät die Schutzhaut der Kindheit abzustreifen und die Sache mit der Selbstbefreiung erst einmal mit sich selbst auszumachen, ist er Popstar geworden, ein Geschöpf tobender Massen und ein Wahnbild. Der als Biopic getarnte Konzertfilm mit 3-D-Effekten von seinem Auftritt im Madison Square Garden läuft in deutschen Kinos, am Samstag saß er bei „Wetten dass..?“ auf der Couch. Das Phänomen Justin Bieber ist damit auch hierzulande voll angekommen. Aber verstanden haben wir es längst nicht.

Bei „Wetten dass..?“ trug Bieber an seiner Rechten einen Fingerhandschuh, wie ihn Michael Jackson zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Und tatsächlich scheint er Jackos Schicksal zu teilen. Die eigene Familie implodierte früh, er wuchs bei seinen Großeltern auf, aber das Wunderkind war in ihm angelegt. Schlagzeug mit vier, Gitarre wenig später, und stark ist auch der sehr nordamerikanische Hang bei ihm ausgeprägt, Musik zu leben, indem sie in eine vitale Körperchoreografie übersetzt wird. Rituale einer verlorenen Kindheit kann man bei Justin Bieber zuhauf besichtigen. Aber sein Drama ist ein anderes.

Michael Jackson spielte sich zum Kinderkönig auf, weil er zu früh kein Kind mehr sein durfte, sondern den Soulsänger spielen musste, der von Sex und Eifersucht sang. Bieber ist das perfekte Produkt einer Popindustrie, der die Kraft für visionäre Starmodelle ausgegangen ist. Er ist der Durchschnittstyp, der von der Chance lebt („Never Say Never“), das Kind, dem man dabei zusehen soll, ein Star zu werden. Ein demokratisierter Star. Kai Müller

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