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PORTRÄT KATHLEEN CASEY-KIRSCHLING, ERSTE BABYBOOMERIN DER USA: „Morgen könnte ich tot sein“

Über Kathleen Casey-Kirschlings nahe Verrentung berichten viele US-Medien in diesen Tagen. Die breite Masse der Bürger erfährt erstmals, welche Zeitbombe in den Sozialsystemen tickt.

Geboren ist sie eine Sekunde nach Mitternacht, am 1. Januar 1946. Das hat sie zur Frontfrau einer ganzen Generation in Amerika gemacht: der „Babyboomer“, wie die kinderreichen Jahrgänge 1946 bis 1964 genannt werden. Danach ließ die Pille die Geburtenrate sinken. An Neujahr wird Kathleen Casey-Kirschling 62 und darf als Erste dieser Generation in Rente gehen – „Social Security“ beantragen, wie das in den USA heißt. 3,2 Millionen Amerikaner stehen 2008 vor derselben Entscheidung, darunter Bill Clinton und George W. Bush. Und 80 Millionen Babyboomer unter 300 Millionen Amerikanern in den nächsten 18 Jahren: Melden sie sich mit 62 aus dem Erwerbsleben ab, was zu einer Kürzung der staatlichen Grundrente um 25 Prozent führt oder arbeiten sie bis 66 weiter?

Mit 65 folgt ein weiterer Einschnitt: Bis dahin war jeder selbst für seine Krankenversicherung zuständig – oder, bei den meisten abhängig Beschäftigten, der Arbeitgeber. Nun übernimmt der Staat die Verantwortung, mit Medicare.

Über Casey-Kirschlings nahe Verrentung berichten viele US-Medien in diesen Tagen. Die breite Masse der Bürger erfährt erstmals, welche Zeitbombe in den Sozialsystemen tickt, wegen steigender Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate. 1945, als Social Security erfunden wurde, kamen 42 arbeitende, also einzahlende Bürger auf einen Rentner. Heute sind es drei. 2030 werden zwei Beschäftigte für einen Rentner aufkommen müssen. Das ist noch glimpflich im Vergleich zu Europa. Die Geburtenrate in den USA liegt um 50 Prozent höher, die Einwanderung boomt, bis 2030 wird deshalb die Zahl der Beschäftigten um 16 Prozent steigen. Dennoch wird der Anteil von Social Security am Bruttosozialprodukt von vier auf sechs Prozent und der von Medicare, der staatlich finanzierten Gesundheitsversorgung der Rentner, von drei auf elf Prozent steigen. Wenn kommende US-Regierungen nicht die Leistungen senken wollen, werden sie den Bundeshaushalt dramatisch anpassen müssen.

Casey-Kirschling ist auf die Rente nicht angewiesen, beantragt sie aber dennoch gleich mit 62. „Morgen könnte ich tot sein.“ Noch arbeitet die ehemalige Lehrerin als Beraterin im Gesundheitswesen, ihr Mann ist Professor. Sie wollen mit ihrem Campingmobil „First Boomer“ zwischen ihren Häusern in Maryland und Florida pendeln. Über ihre beiden Töchter sagt sie: „Ich weiß nicht, ob die jemals Rente bekommen werden.“ Christoph von Marschall

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