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Porträt: Mit dem Atem der Provinz

Von Kohl und Beck: Niemand wird Kanzler, bloß weil er Pfälzer ist. Wieviel der CDU-Alt-Kanzler und der SPD-Vorsitzende gemeinsam haben. Und doch wieder nicht.

Man hat nur die Augen schließen müssen, am Sonntag in Hamburg bei der SPD, und hören, wie weich dem Redner am Pult ausgerechnet das Wort „Famillje“ über die Zunge perlte, dann hatte man sein irritierendes Deja-entendu: Ja, so war das mal, das könnte er wieder sein – Helmut Kohl. Der Pfälzer Kurt Beck hat so geredet wie der Pfälzer Helmut Kohl. Der SPD-Vorsitzende Beck hat die Reihen hinter sich geschlossen, so dicht, wie der CDU-Vorsitzende Kohl die Reihen hinter sich geschlossen hatte. Und die Art, wie er, Beck, das getan hat, Hamburg 07, war so unähnlich der von Kohl nicht, Bonn 1973. Schwach, was das gesprochene Wort angeht, dafür handfest hinter den Kulissen.

Kohl blieb danach noch 25 Jahre Vorsitzender der CDU, knapp zehn Jahre immerhin sollte es noch dauern, bis er es zum Bundeskanzler gebracht hatte, seinerzeit unter dem Rubrum, eine „geistig moralische Wende“ herbeiführen zu wollen.

Keine Angst vor Analogien, sie geben einer kompliziert gewordenen Welt Struktur. Nur, sie sollten auch plausibel sein. Dass beide gerne Wein trinken und ihre jeweilige Statur mit vollschlank respektvoll wohlwollend beschrieben ist, heißt noch nichts. Die Frage ist: Wie viel Kohl ist in Kurt Beck? Die noch interessantere: Sind wir schon wieder so weit?

Zunächst: Beck den Vollzug einer abermaligen „geistig moralischen Wende“ attestieren zu wollen, wäre absurd. Dazu fehlt ihm nicht nur der Impetus, es fehlen ihm schlicht die Voraussetzungen, und zwar in mehrerlei Hinsicht. Erstens ist seine Partei, wenn auch in der Rolle des Juniorpartners, an der gegenwärtigen Regierung beteiligt. Zweitens haben sich die Zeiten in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten wahrlich geändert. Kohl hat den Machtwechsel immer auch als Kulturbruch begriffen und entsprechend inszeniert, als ostentative Rolle rückwärts. Die Abkehr zu der von ihm so verhassten 68er- Zeit war ihm immer ein innerer Antrieb. Kurt Beck aber hat nichts, wovon er sich mit Abscheu abwenden müsste. So links ist er nun auch wieder nicht, als dass ihm etwa das liberale Bürgertum per se suspekt wäre. Daheim in Mainz hat er kommod mit der FDP regiert, die war ihm näher als die Grünen. Die Zeiten sind ideologiefreier geworden. Kohl hat polarisiert. Beck nicht.

Bleibt der Odem der Provinz. Ja, der durchweht sie beide. Kohl war kein Intellektueller. Beck ist es nicht. Beide hat das nicht gestört. Beide sind als Politikertypen den Hauptstadtfeuilletons eher suspekt, wobei Beck von Kohl in dieser Hinsicht sogar profitiert, weil der es schließlich bewiesen hat, dass auch eine stabile Provinzialität kein Hinderungsgrund für fast ewig währende Kanzlerschaft sein muss. Gilt gar der Umkehrschluss? Ist die Provinz in Wahrheit jenes heimliche Imperium, das Kanzler macht? Es scheint fast so, als kalkulierte Kurt Beck damit. Als sei Bodenständigkeit das entscheidende Kriterium, als genügte überzeugt vorgetragene Heimatliebe sowie ein daraus entwickeltes Weltbild. Gerhard Schröder und Angela Merkel wären dann allerdings Betriebsunfälle der Geschichte.

Gut möglich, Kurt Beck hat Helmut Kohl im Blick auf seinem Weg zur Macht. Wenn er sich da nur mal nicht mit der Perspektive vertut: Es ist noch keiner gewählt worden, bloß weil er Pfälzer ist, und – wenn’s denn erlaubt ist, das hier anzufügen: Das ist auch gut so.  

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