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PORTRÄT: „Parteichef und Gouverneur ist inkonsequent“

Virginias Gouverneur Tim Kaine wäre um ein Haar Obamas Vizepräsident geworden. Nun ist er aussichtsreichster Kandidat für das Parteichefsamt der Demokratischen Partei.

Noch ziert er sich. Aber Tim Kaine zählt zu den Loyalsten. Und man müsste schon tief in der US-Geschichte suchen, um einen Fall zu finden, wo ein Demokrat den Wunsch des Präsidenten abgelehnt hätte, ihn zum Parteichef zu machen – oder in dem die Parteifunktionäre, die den Vorsitzenden wählen, sich dem Ansinnen widersetzt hätten. Noch in dieser Woche werde Barack Obama den derzeitigen Gouverneur von Virginia vorschlagen, melden die großen Zeitungen übereinstimmend, Ende des Monats werde er gewählt. Der 50-jährige Katholik schweigt dazu. Sein letzter bekannter Kommentar in der Angelegenheit ist mehr als zwei Monate alt: Er empfände es als „ehrlich gesagt, nicht konsequent“, Parteichef und Gouverneur zugleich zu sein. „Also bleibe ich Gouverneur.“ Die vierjährige Amtszeit als Regierungschef in Virginia endet im Dezember 2009. Kaine ist dort sehr populär, aber eine Wiederwahl als Gouverneur ist nicht erlaubt.

Ursprünglich wollte Obama Kaine im Sommer zum Vizepräsidentschaftskandidaten machen: ein Mitte-rechts-Demokrat mit Regierungserfahrung aus einem wertkonservativen Südstaat, den die Demokraten bei allen Präsidentenwahlen seit 1964 an die Republikaner verloren hatten. Doch als die Verkündung des Vizes Mitte August anstand, dominierten zwei weltpolitische Krisen die Lage, der Krieg zwischen Russland und Georgien sowie der Rückzug des pakistanischen Staatschefs Musharraf. Außenpolitische Erfahrung fehlt Kaine, so nominierte Obama stattdessen Joe Biden.

Kaines unermüdlichem Einsatz hatte es Obama zu verdanken, dass Virginia 2008 tatsächlich erstmals seit 44 Jahren für den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten stimmte. Minister wollte Kaine nicht werden, dann hätte er sein Gouverneursamt vorzeitig aufgeben müssen. Als Parteichef dauert die „Inkonsequenz“ des Doppelamts elf Monate. Kaine wird in dieser Funktion regelmäßiger Gast in den Sonntag-Talkshows und muss Obama auch sonst gegen republikanische Angriffe verteidigen – ein Sprungbrett für eigene höhere Ambitionen. Die beiden sind Seelenverwandte, haben in Harvard Jura studiert und ihre politische Karriere als Rechtsanwälte in Bürgerrechtsfällen begonnen. Beide sind Pragmatiker ohne ideologischen Eifer. Sie teilen, zum Beispiel, die Skepsis gegen die Todesstrafe, stellen sich ihrer Ausführung aber nicht in den Weg, solange die Gesetze sie vorschreiben.

Christoph von Marschall

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