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PORTRÄT: Seyran Ates: „Bei den Grünen sind die meisten Kopftuchfrauen“

Dass die Frauenrechtlerin Seyran Ates Kopftuch mit Unterdrückung und Gewalt gleichsetzt, ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Sie spricht Musliminnen das Selbstbestimmungsrecht ab.

Das ist zunächst eine neutrale Feststellung. Aber nicht für Seyran Ates. Für sie ist das etwas Schlimmes. Dass man bei den Grünen „den meisten Kopftuchträgerinnen und Verteidigerinnen des Kopftuchs, den meisten Kulturrelativisten und Multikulturalisten begegnet“, ist für sie der Grund, kommenden Sonntag auf keinen Fall Grün zu wählen.

Die 45-jährige Ates ist nicht nur mit Worten Feministin. Jahrelang hat sie als Anwältin in Berlin türkische Frauen gegen die Gewalt ihrer Familien und Ehemänner verteidigt. Sie hat dafür ihr Leben riskiert. Einmal hat einer dieser Ehemänner auf sie geschossen. Ates hat überlebt, schwer verletzt. Sie hat erlebt, dass die Gewalt gegen ihre Klientinnen von ihren Familien mit der Religion gerechtfertigt wurde. Dass Deutschland ein multireligiöses Land geworden ist, jagt ihr wie vielen anderen Feministinnen Schauder über den Rücken. Wer ihre Lebensgeschichte kennt, kann das nachvollziehen. Vor kurzem sagte Ates, dass sie ihre Zulassung als Anwältin endgültig zurückgeben wolle, weil sie in diesem Beruf „nicht mehr arbeiten könne“. Der psychische Druck sei zu groß. Sie hat ein kleines Kind, das sie nicht gefährden will.

Aber dass Ates Kopftuch mit Unterdrückung und Gewalt gleichsetzt, ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Sie spricht den vielen Musliminnen das Selbstbestimmungsrecht ab, die das Kopftuch aus eigenem Willen tragen. Gelten Frauenrechte nur, wenn Alice Schwarzer sie absegnet? Dass sich Kopftuchträgerinnen in politischen Parteien engagieren, ist doch das beste Beispiel dafür, dass das Klischee mit der Unterdrückung nicht stimmt.

Ates nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie ist bissig, hat schon oft scharfsinnig argumentiert und auf Missstände hingewiesen. Zum Beispiel als vor ein paar Jahren in Berlin die Deutsch-Türkin Hatun Sürücü von ihrem Bruder ermordet wurde, weil der Familie ihr westlicher Lebensstil nicht gefiel. Ates hat das Thema Zwangsehen in die Öffentlichkeit gebracht. Zu Recht. Aber als vor ein paar Monaten in einem Gerichtssaal in Dresden eine junge Ägypterin von einem Ausländerhasser niedergestochen wurde, weil sie ein Kopftuch trug, da hat man keinen Aufschrei, kein Wort der Empörung von Seyran Ates oder anderen Feministinnen gehört. Selbstbewusste, gebildete Frauen, die sich aus ihrem Glauben heraus für das Tuch entscheiden, sind in ihrem Weltbild nicht vorgesehen. Schade. So wirken ihre Einlassungen zunehmend weltfremd. Claudia Keller

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