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POSITIONEN: Berlin weiß mit seiner Mitte nichts anzufangen

Die Stadt sollte sich vom Humboldt-Forum inspirieren lassen.

Die Gemeinde der Marienkirche in Berlins Mitte hat sich entschieden, die Petrikirche wieder aufzubauen. Sie soll aber nicht einfach die üblichen Dienste für eine evangelische Kirchengemeinde leisten. Die Petrikirche soll nach dem Willen ihrer Gemeinde als ein Ort des Dialogs und der Zusammenarbeit der Religionen in Berlin zur Verfügung stehen. Eine kircheninterne Entscheidung? Oder mehr?

Tatsächlich geht hier ja um das Gebiet, auf das sich eben erst kritische Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters bezogen haben, nachdem ihn ein Blick aus seinem Amtszimmer offenbar nicht besonders beglückt hatte. Sofort setzte die Berliner Oberflächendiskussion ein und es ergab sich das übliche Hickhack zwischen Traditionalisten – angereichert in diesem Falle mit der Erinnerung an das „Sozialistische Stadtzentrum“ – und Modernisten. Welcher Sinn, welche Aufgabe diese Mitte Berlins hat, wurde nicht gefragt. Dabei geht es um Berlins wirkliche Mitte. Merkt das die Stadt gar nicht? Weiß sie nichts mit ihrer Mitte, und damit mit sich selbst anzufangen? In den großen Städten, den Hauptstädten befand sich früher in der Mitte eine Kathedrale, ein Marktplatz, der Königspalast, das nationale Regierungszentrum, an kleineren Orten auch schon einmal das Rathaus. Aber was gehört in die Mitte einer Hauptstadt im 21. Jahrhundert? Zumal wenn sie in der außerordentlichen Lage ist, eine Stadtmitte fast aus dem Nichts zu errichten. Aber solche Fragen stellt die Politik heute nicht.

Der Bundestag und die Bundesregierung haben der Stadt mit der Idee der Verlagerung bedeutender Museen und dem Wiederaufbau des Schlosses eine Vorlage gegeben – im Fußballjargon ein eher verhaltener Pass. Mit dem Auftrag „Humboldt-Forum“ landete der Ball aber dann dort, wo er hingehört. Der Bezug auf die Lebensleistung und die Botschaft Alexander und Wilhelm von Humboldts, macht klar, dass dieses Forum wirklich mehr als ein Museum werden muss. Es wird der Ort des Kennenlernens der Kulturen der Welt mit ihren heutigen Problemen und Ansprüchen sein. Deutschland und Berlin werden eine Institution entwickeln, die für eines der existenziellen Themen dieses Jahrhunderts zur Verfügung steht: Wie sich in einer immer enger zusammenrückenden Welt die Kulturen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt begegnen können statt sich zu bekämpfen und zu bedrohen.

Dies wäre eine Aufgabe, die der Mitte einer Stadt wie Berlin gerecht würde – und ehrenvoll wäre sie überdies. Es wäre eine Antwort auf die Situation Berlins nach der großen europäischen Wende, die die ganze Stadt, formuliert und inspiriert von ihrer Mitte her, mitreißen könnte. Stattdessen erlebt man, dass dieses Projekt bisher Berlin – Politik wie Gesellschaft – kalt gelassen hat. Der Senat startete, im Gegenteil, seine Legislaturperiode damit, Interesse und Engagement für das Humboldt-Forum schon quantitativ auf ein Minimum herunterzudrücken – auf kaum mehr als zehn Prozent des ganzen Projekts.

Gewiss, in Hauptstädten ist die Gestaltung der Mitte in der Regel weniger ein Thema der Stadtpolitik als vielmehr der Staatspolitik, und spiegelt die besonders einflussmächtigen, bestimmenden Strömungen der Zeit wider, der sie ihre Gründung verdankt. Aber so klein wie das gegenwärtig der Fall ist, muss sich die Stadt nun auch nicht machen, so unverantwortlich darf sie ihre Mitte nicht am Rand liegen lassen.

Die Absicht der Marienkirchen- Gemeinde liefert mit ihrem Projekt Petrikirche – ungefragt und ohne Auftrag – in konkreter Form einen Beitrag zu der Aufgabe, die Berlin mit der Gestaltung seiner Mitte gestellt ist. Auf solche bürgerschaftliche Weise bekommt der hohe Anspruch des Humboldt-Forums in Berlin einen Hauch von Wirklichkeit: als Vorleistung auf eine Stadtgesellschaft, die die Spur der Epoche der Humboldts und jener „Berliner Klassik“ aufnimmt, die damals mit ihren Gedanken und Bauten der Stadt ein Format von historischem Rang gaben.

Der Autor ist Vorsitzender der Stiftung „Zukunft Berlin“.

Volker Hassemer

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