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Positionen: "Brennende Kaufhäuser, brennende Menschen"

Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth über die Enttabuisierung der Gewalt: Die Apo war das klare Vorbild der RAF, findet er.

Wie konnte es kommen, dass nicht nur die Terroristen selbst, sondern auch viele andere junge Menschen die Bundesrepublik als einen Staat empfunden haben, den es zu bekämpfen galt – und mit einer terroristischen Vereinigung sympathisiert haben? Diese Frage stellte Norbert Lammert in einer beachtlichen Rede zum Terrorismus der Rote Armee Fraktion (RAF).

Manche lenken jetzt Pfeile auf den Bundestagspräsidenten, der klipp und klar sagte: „Der bundesdeutsche Terrorismus entstand nicht durch Aktivitäten von Randfiguren der einstigen Außerparlamentarischen Opposition (Apo), war also kein spätes Zerfallsprodukt aus den Ausläufern der Apo, sondern der sogenannte ‚bewaffnete Aufstand‘ und das ‚Stadtguerilla-Konzept‘ waren schon sehr früh, Mitte der sechziger Jahre, im Zentrum des Apo diskutiert worden.“ Recht hat Lammert. In der Apo gab es sehr unterschiedliche Tendenzen: Einerseits war kultureller Aufbruch angesagt, andererseits kamen früh aus der Mitte der Apo Konzepte der Gewalt. Die überwiegende Mehrheit der Protestierer war gegen Gewalt.

Das „Gründungsdatum“ der Rote Armee Fraktion wird mit der Baader-Befreiungsaktion 1970 in Verbindung gebracht, doch wurde in der Apo früh über die Notwendigkeit von Gewalt diskutiert, häufig zumindest Gewalt gegen Sachen für legitim erklärt. Ein am 24. Mai 1967 verteiltes „Flugblatt Nr. 8“ der „Kommune I (KI)“ begann mit der Frage: „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“ – und dies zwei Tage nach einem Brand in einem Brüsseler Kaufhaus, bei dem 300 Menschen ums Leben gekommen sind: „Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen; sie zünden ein Kaufhaus an, 300 saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi.“ Gudrun Ensslin schrieb damals in ihr Notizbuch: „Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelt zum ersten Mal in einer europäischen Stadt jenes knisternde Vietnam-Gefühl, das wir in Berlin bislang noch missen müssen.“

Hans Magnus Enzensberger sagte 1969: „Gegenwärtig veranschaulicht uns eine Organisation wie die Tupamaros in Uruguay Formen des Kampfes, die direkt auf Europa angewandt werden können.“ Die lateinamerikanischen Guerilleros wurden als Vorbild benannt – vor allem Che Guevara in Bolivien, Marighella in Brasilien und die Tupamaros. Im Februar 1966 erläuterte Dutschke vor Berliner SDS-Genossen sein Stadtguerilla-Konzept. Er forderte im September 1967 eine „befreiende Verweigerungs- und Sabotage- Guerilla in den verschiedenen Sphären der Gesellschaft“. In jener Zeit wollte er sein Revolutionskonzept, gestützt auf Ideen und Geld des italienischen Verlegers Feltrinelli, vorantreiben, legale und illegale Möglichkeiten miteinander verbinden, Gegenmilieus aufbauen. Eine „Propaganda der Tat“ sollte die Mächtigen einschüchtern. Dutschke lehnte das Konzept einer militärischen Strategie der späteren RAF ab, plante aber, mit zwei Mitstreitern am 2. März 1968 in Saarbrücken einen Sendemast des amerikanischen Soldatensenders AFN in die Luft zu sprengen. Führungskader des Berliner SDS wollten den mit einem Hausordnungsverfahren gegen neun Studenten befassten Oberstaatsanwalt Blaesing entführen. Es sei sogar ein Kommando gebildet und ein Versteck im Grunewald ausfindig gemacht worden. Dutschkes Wegbegleiter Rabehl: „Mehr aus Zufall scheiterte das Vorhaben.“

Bisher haben wir zu wenig aus Wissenschaft und Publizistik über die Vorstufen des Terrorismus erfahren. Darauf weist Lammert zu Recht hin. In einem Führungskern, übrigens auch der späteren kommunistischen Gruppen wie dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), wurde die friedensstiftende Funktion des Rechtes abgelehnt, illegale Aktionen als angemessen erklärt. Eine Enttabuisierung von Gewalt war die Folge. Die RAF profitierte davon.

Der Autor unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn.

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