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POSITIONEN: Demut hilft gegen Bürgerkrieg

Die Lage im Irak ließe sich verbessern – mit Hilfe der Religion

Seit Montag, angereist direkt von der Front im Irak, versucht General Petraeus die Offensive der vergangenen Monate vor dem US-Kongress als Erfolg zu verkaufen. Schon vorher hatten viele in Washington, auch ehemalige Befürworter des Krieges, erklärt, dass der Einsatz nicht länger haltbar sei. Wie sie hatte ich angenommen, die amerikanische Regierung würde den Frieden gut planen. Ich hatte mich getäuscht – wie auch viele fortschrittliche Iraker.

Einer von ihnen ist ein 32-jähriger Arzt, der erst für die Invasion war und inzwischen Bagdad längst in Richtung Jordanien verlassen hat. Die Chance, die Menschenrechte im Nahen Osten zu verankern, sagt er heute, hat die Bush-Regierung kläglich vergeben. „Amerika hatte gesagt, es wolle die Modernisierung und die Freiheit vorantreiben, aber in Wahrheit haben sie beides geschwächt“, sagt Dr. Ibrahim. „Die Amerikaner haben den Kulturkampf in unserer Region in das siebte Jahrhundert zurückgeführt. Heute fragen die Menschen im Irak: Kann eine Frau das Haus verlassen und arbeiten gehen? Können Männer ihr Haar so tragen, wie sie wollen? Ist es erlaubt, im Sommer Eis zu benutzen, obwohl der Prophet das nicht tat?“

Eis und Allah? Einige würden antworten, dass Allah selbst das Problem darstellt, und eine ganz andere Frage stellen: Sind Religiosität und Demokratie miteinander vereinbar? Mein Antwort lautet: Ja.

Säkulare, wie ich, bezichtigen Bush fälschlicherweise, sich wie Gott aufzuführen. Ich sage „fälschlicherweise“, weil es der Demokratie – in Amerika und nicht nur im Irak – besser ginge, wenn der Präsident sich mehr wie Jesus verhielte – zurückhaltend. Jesus zeigte sich nie eitel und selbstgerecht, weil er skeptische, sogar kritische Köpfe als Anhänger wollte, die nicht eingeschüchtert waren. Die, in anderen Worten, frei waren.

Wir Muslime betrachten Jesus als einen unserer wichtigsten Propheten. In seinem öffentlichen Brief an Präsident Bush beschrieb kein geringerer Islamist als Irans Präsident Ahmadinedschad Christus als den „großartigen Botschafter Gottes“ und rief mehrmals seinen Namen an. Propaganda, sicher, aber doch mehr als nur Schwulst.

Die Zurückhaltung, die Jesus gegenüber seinen römischen Verfolgern an den Tag gelegt hat, spiegelt einen zentralen Aspekt des schiitischen Glaubens wider: Demut. Seit 1400 Jahren setzen die Schiiten auf Gedankenfreiheit, Gewissen und Gottesverehrung in ihrem Kampf gegen die sunnitische Übermacht. Auf dem Kampffeld gnadenlos besiegt haben die Schiiten eine epische Erzählung geformt um die Erfahrung von Verlust, Härte und Tragödie herum. Es ist eine Erzählung, die ihre Gläubigen mahnt, bescheiden auch im politischen Amt zu bleiben – Ajatollah Chomeinis politischen Perversionen zum Trotz.

Wenn Iraks Ministerpräsident Nuri al Maliki an diese Tradition anknüpfte, und nicht an die fanatisierte Version des Iran, könnte ihm eine echte Revolution gelingen. Al Maliki könnte damit beginnen, das Stammesgebot der Ehre, das die Menschen im ganzen Nahen Osten antreibt, zu ersetzen durch die prophetische Ankündigung, den Machtmissbrauch in ihren Gesellschaften zu beenden – eine Botschaft, mit der sich Muslime überall und massenhaft identifizieren können.

In einem solchen religiös-politischen Kontext und unter die Lupe genommen von der ganzen Welt bliebe den sunnitischen Aufständigen nichts als die Aufgabe.

Vielleicht bin ich naiv zu glauben, dass es Antworten gibt. Der irakische Arzt, der mir geschrieben hat, war möglicherweise weiser, weil er mehr Fragen gestellt hat. „Was kann die Welt machen? Sollen wir uns auf friedlichem Wege mit den islamistischen Fanatikern auseinandersetzen, die Vernunft als Zeichen der Schwäche deuten? Oder sollen wir sie weiter bekämpfen und dazu beitragen, dass alles noch schlechter wird? Ich weiß es nicht!“

„Ich weiß nicht“ zu sagen, hat mit Christus’ Demut nicht viel zu tun. Aber in unseren höchst polarisierten Zeiten ist es ein mutiger Anfang.

Die Autorin ist muslimische Kanadierin. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Der Aufbruch. Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“. Übersetzung: Moritz Schuller.

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