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POSITIONEN: Die Angst des Pharaos

In Ägypten wurde ein neues Parlament gewählt. Genauer gesagt: Es wurde so getan. Mubarak kann sein Regime nur noch mit Pfründen zusammenhalten.

Was in den Wahlen vom 28. November und in der Stichwahl vom 5. Dezember geschah, war kein Ausdruck ägyptischen Wählerwillens, sondern Manipulation durch das Regime von Hosni Mubarak. Bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen hatte es massive Unregelmäßigkeiten gegeben. Kandidaten der Opposition wurden am Wahlkampf gehindert oder erhielten keine Zulassung zur Kandidatur, freie Medien wurden mundtot gemacht und insbesondere Anhänger der oppositionellen islamistischen Muslimbruderschaft zu Hunderten verhaftet. Um jeden Preis sollte eine Entwicklung wie bei den Parlamentswahlen 2005 verhindert werden, als die Muslimbrüder trotz Manipulationen einen Achtungserfolg erzielten und das Parlament seitdem als Bühne für ihre Kritik an der Regierung nutzen konnten.

Auch wenn die ägyptischen Wähler und ausländische Beobachter mit massiver Manipulation seitens des Regimes gerechnet hatten – das Ausmaß, mit der die politische Führung unter Mubarak in den Wahlprozess eingegriffen hat, überraschte alle gleichermaßen. Weit über 90 Prozent der Parlamentsmandate sicherte sich die regierende Nationaldemokratische Partei. Muslimbrüder und selbst die regimenahe oppositionelle Wafd-Partei hatten sich bereits nach dem ersten Urnengang aufgrund der zahlreichen Unregelmäßigkeiten unter scharfem Protest zurückgezogen.

Was aber steckt hinter dieser scheinbar unverhältnismäßigen Wahlmanipulation? Will oder kann sich das Mubarak-Regime eine parlamentarische Opposition als Feigenblatt seiner autoritären Herrschaft nicht mehr leisten? Beides trifft zu. Einerseits sollte die Opposition rechtzeitig zu den für Ende 2011 angesetzten Präsidentschaftswahlen ausgeschaltet werden. Bei diesen Wahlen wird sich Mubarak, der seit 1981 das Land regiert, wahrscheinlich für eine sechste Amtsperiode bestätigen lassen. Opposition wäre hierbei nur störend. Diese hatte in den vergangenen Jahren immer lauter die sozialen und wirtschaftlichen Missstände im Land kritisiert. Andererseits kann sich das Mubarak-Regime eine parlamentarische Opposition, die zumindest den Anstrich demokratischer Legitimation geben könnte, gar nicht mehr leisten. Vielmehr ist der Staatschef auf jeden Parlamentssitz angewiesen, um die Konflikte innerhalb der Regierungspartei, die es zuhauf gibt, durch gezielte Postenpatronage zu beruhigen. Vor allem über die Frage, wer dem 82-jährigen kränkelnden Staatschef nachfolgen könnte, herrscht offenbar keineswegs Einigkeit. Mubaraks Plan, den eigenen Sohn Gamal als Nachfolger zu installieren, scheint im Regime selbst auf Widerstand zu stoßen.

Die manipulierten Wahlen sind somit nicht mehr nur Ausdruck der Angst des Mubarak-Regimes vor der eigenen Bevölkerung. Sie offenbaren auch starke Risse innerhalb des Herrschaftsapparates. All das sollten die EU und die USA genau zur Kenntnis nehmen. Denn gerade für diese politische Stabilität des Regimes wurden Menschenrechtsverletzungen und die gewaltsame Unterdrückung politischer Opposition in Ägypten bislang billigend in Kauf genommen. Mubarak galt als treuer Verbündeter in der Region, sowohl in Bezug auf den Nahost-Friedensprozess als auch in Bezug auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dass Ägypten unter Mubaraks bald 30-jähriger Herrschaft seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht überwinden konnte, wurde geflissentlich übersehen. Soziale Spannungen, ein rasantes Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung im bevölkerungsreichsten südlichen Mittelmeeranrainerland lassen aber auf nichts Gutes hoffen. Diese Probleme können nur unter Einbindung der Bevölkerung gelöst werden. Ohne mehr internationalen Druck auf das Regime, sich endlich politisch zu öffnen, ist es mit der vermeintlichen Stabilität am Nil womöglich bald vorbei.

Der Autor ist Forschungsstipendiat der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Stephan Roll

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