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Meinung: Positionen: Die aufgeklärte Variante des Dschihad

Das am Dienstag in der "New York Times" und dem "Tagesspiegel" veröffentlichte Manifest über den "Gerechten Krieg" ist ein Dokument der Anmaßung und intellektueller Blindheit. Wäre ich nicht ein gläubiger Atheist, so würde ich von einer Gotteslästerung sprechen.

Das am Dienstag in der "New York Times" und dem "Tagesspiegel" veröffentlichte Manifest über den "Gerechten Krieg" ist ein Dokument der Anmaßung und intellektueller Blindheit. Wäre ich nicht ein gläubiger Atheist, so würde ich von einer Gotteslästerung sprechen. Denn die 58 amerikanischen Intellektuellen, die es unterzeichnet haben, schreiben ihrem Land und ihrer Regierung implizit gottgleiche Qualitäten zu: die Fähigkeit nämlich, gleichzeitig Weltenrichter und kriegführende Partei zu sein.

Sie überhöhen den gerechtfertigen Gegenschlag der USA nach dem barbarischen Angriff vom 11. September zu einem Akt universaler Gerechtigkeit. Dabei nehmen die durchwegs akademisch ausgewiesenen Autoren in Kauf, dass sie die spontanen Entgleisungen eines sichtlich um Worte verlegenen Präsidenten nachträglich zu politischen Weisheiten erklären. Die Unterzeichner wenden sich in einer Passage zwar gegen die Begriffe "Heiliger Krieg" und Kreuzzug".

Tatsächlich kehren jedoch im gesamten Gestus des Dokuments sämtliche Peinlichkeiten der ersten Stunde, die George W. Bush unter dem Druck seiner Berater wieder zurücknehmen musste - vom "Kreuzzug gegen das Böse" über die Operation "Unendliche Gerechtigkeit" bis zu dem absurden Satz: "Wer in diesem Kampf nicht auf der Seite Amerikas steht, steht auf der Seite des Terrors" - im milderen Tonfall des akademischen Diskurses wieder.

Und da das Manifest nicht etwa am Beginn des "Krieges gegen den Terror" erschienen ist, sondern am Ende seines ersten Sieges, muss man es wohl als eine Art Handbuch für die nächsten Etappen dieses Krieges lesen. Es gibt viele Sätze in dem Manifest, die ich unterschreiben würde. Wie die Autoren bin ich der Meinung, "dass es Zeiten gibt, in denen die erste und wichtigste Reaktion auf das Böse sein muss, es zu stoppen... . in denen es nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar geboten ist, den Krieg zu erwägen - als Antwort auf katastrophale Gewaltakte, Hass und Ungerechtigkeit." Ein Beispiel für einen solchen notwendigen, viel zu spät begonnenen Krieg stellt in meinen Augen die Nato-Intervention gegen die ethnische Raserei in Bosnien und im Kosovo dar; ein Beispiel für die Unterlassung einer notwendigen Intervention ist das schweigende Zusehen der Weltgemeinschaft beim Genozid in Ruanda.

Wie die Autoren bin ich davon überzeugt, dass es universal gültige Menschenrechte gibt, zu deren Verteidigung gegen die Gewaltherrscher, die sie mit Füßen treten, manchmal kein anderes Mittel bleibt als Gewalt. Jene Deutschen, die behaupten, noch nie sei ein Problem auf der Welt durch Krieg und Gewalt gelöst worden, können für ihre Überzeugung nichts als ihre Geschichtsvergessenheit anführen. Kein Zweifel, es gibt notwendige, unvermeidliche, gerechtfertigte Kriege.

Aber gibt es auch gerechte? Die Nachlebenden können und sollen darüber streiten, ob ein gerechtfertigter Krieg auch ein gerechter war, diejenigen, die ihn führen, müssen mit dem Zweifel leben und das endgültige Urteil der Geschichte und dem Himmel überlassen. Ich werde mich hier nicht mit der langen und widerspruchsvollen Karriere der Doktrin des "gerechten Krieges" beschäftigen. Das Problem dieser bequemen und selbstgerechten Formel zeigt sich schon daran, dass sie in aller Regel dazu dient, die Eigeninteressen der kriegführenden Partei zu verschweigen. Folglich müsste der "gerechte Krieg" im Prinzip überall geführt werden, wo es "Gewaltakte, Hass und Ungerechtigkeit" gibt - also überall auf der Welt.

Wichtiger ist ein anderer Einwand. Die Idee und Führung des "gerechten Krieges" setzt eine absolutistische Instanz und Gewissheit voraus, die in einer säkularen Demokratie nichts zu suchen hat. Wer behauptet, dass er einen "gerechten Krieg" führe, muss ihn nicht mehr rechtfertigen und schließt die Möglichkeit des Irrtums aus. Wer behauptet, im Besitz der Gerechtigkeit zu sein, hat sie schon verloren. Tatsächlich sind die gerechtfertigten und notwendigen Kriege der Vergangenheit gerade gegen jene Mächte geführt worden, die in dem Wahn befangen waren, im Besitz der absoluten Gerechtigkeit zu sein.

Die 58 Intellektuellen, die das Manifest unterschrieben haben, müssen sich dem Vorwurf stellen, dass sie dabei sind, dem "Heiligen Krieg" der Islamisten eine "aufgeklärte" amerikanische Variante entgegenzustellen.

Peter Schneider

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