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POSITIONEN: Die Demokratie globalisieren

Die Volksherrschaft muss weltweit zum Fundament des Friedens zwischen den Nationen werden.

Ich glaube hartnäckig weiter daran, trotz all der Jahre, trotz der Tragödien der Vergangenheit und der Gegenwart, trotz all jener Tragödien, die ohne Zweifel noch kommen werden, dass die Schaffung des Friedens zwischen den Nationen, begründet auf einer weltweiten Demokratie, eine jener Utopien ist, die zugleich denkbar und realisierbar sind.

Und ich möchte, darüber hinaus, dass wir uns ein wenig Zeit nehmen, über das Verhältnis zwischen Realität und Utopie nachzudenken. War es keine Utopie, sich in den finstersten Momenten der Sklaverei vorzustellen, dass die Sklaverei eines Tages abgeschafft sein würde? War es in den dunkelsten Momenten des Zweiten Weltkrieges keine Utopie, einen Briefwechsel über die Organisation des Friedens so zu führen, als sei der Krieg schon beendet, wie es Roosevelt und Churchill taten?

Das heißt, dass manchmal unsichtbare Kräfte die Realität überholen, oder, besser, dass es Kräfte gibt, die man zum Zeitpunkt ihres Wirkens überhaupt nicht wahrnimmt und die uns nicht nur befähigen, weiter zu hoffen, sondern auch die Zukunft zu gestalten.

Verstehen wir uns richtig, es geht nicht darum, Tabula rasa mit dem zu machen, was jetzt ist, und durch eine Realität des Zeitlosen und Perfekten zu ersetzen, sozusagen eine Realität, die der Geschichtlichkeit beraubt ist. Ganz im Gegenteil handelt es sich darum, die existierende Realität mit all ihren Unvollkommenheiten und Versprechungen hinter sich zu lassen und ihr die Kraft einzuflössen, sich im Namen eines Ideals, einer Ethik, einer genauen Vorstellung von Gerechtigkeit und Verantwortung zu verändern.

Die Zahl der Philosophen, Schriftsteller, der Juristen ist groß, die im Laufe der Jahrhunderte eine neue Ordnung erdacht haben. Heute wissen wir, dass ihre Vorstellungen dazu beigetragen haben, eine internationale Rechtsordnung zu installieren. Wir wissen, dass es unsichtbare Konstruktionen waren, auf die sich die internationalen, modernen Organisationen stützen. Wir wissen, dass es diese abstrakten Vorstellungen sind, die in das positivistische internationale Recht mündeten, welches das Zusammenleben der Nationen und der Völker zu lenken versucht.

Das heißt, dass das Werk nicht beendet ist. Und dass es heute Raum gibt für eine moderne Utopie. Die Utopie von der weltweiten Demokratie als Fundament des Friedens.

Sich jetzt mit globaler Demokratie zu beschäftigen, scheint auf den ersten Blick wie eine Vorfestlegung weit entfernt von den akuten Problemen - gerade angesichts einer Welt, die mit blutigen Kriegen in Somalia, im Sudan und in Georgien konfrontiert ist, mit einem immer tieferen Graben zwischen Nord und Süd und einer beständig enger werdenden weltweiten Verknüpfung, die zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen ohne Beispiel führt. Ich bin für mich aber überzeugt, dass es sich hier um einen fundamentalen Einsatz für die internationale Gemeinschaft von morgen handelt. Unsere Aufgabe ist es heute, die Marksteine dieser neuen Weltordnung zu setzen.

Es ist klar, dass wir in die Ära einer weltumspannenden Gesellschaft eingetreten sind. Nehmen wir zum Beispiel den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt, nehmen wir den Kampf gegen Aids und die Herausforderungen der demografischen Entwicklung, nehmen wir die Beseitigung des Hungers in der Welt und die Felder moderner Technologien und der Gentechnik - es ist offensichtlich, dass sich diese Fragen künftig im weltweiten Maßstab stellen und von den Vereinten Nationen nur in sehr begrenztem Umfang erfasst werden können.

Wir haben daher heute die unabweisbare Verpflichtung, über ein neues Projekt des Zusammenlebens nachzudenken, um den Staaten und Nationen, den Männern und Frauen der ganzen Welt eine konkrete Hoffnung auf eine Verbesserung der Menschenrechte geben zu können. Unter diesem Blickwinkel gewinnt die Idee von der weltumspannenden Demokratie ihre Bedeutung.

Denn die Demokratie ist nicht nur eine Form der Regierung eines Staates oder des zwischenstaatlichen Zusammenlebens. Die Demokratie muss, auf welchem Feld der internationalen Gemeinschaft auch immer, die einzige Methode der Machtausübung sein. Oder, anders ausgedrückt: Das Phänomen der Globalisierung der Wirtschaft und der Politik muss zusammengehen mit einer Bewegung der Globalisierung der Demokratie.

Der Autor ist Präsident der Internationalen Menschenrechtskommission Ägyptens. Er war Generalsekretär der Vereinten Nationen. Am Dienstag, den 7. Oktober wird Boutros-Ghali um 20 Uhr im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Initiative Humboldt-Forum" in der Akademie der Künste am Pariser Platz sprechen.

Aus dem Französischen übersetzt von Gerd Appenzeller

Boutros Boutros-Ghali

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