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POSITIONEN: Die Terroristen schauen nach Berlin

Deutschland darf sich nicht aus Afghanistan zurückziehen: Denn damit würden nicht Leben gerettet, sondern noch mehr Leben riskiert.

Seit einigen Tagen können die deutschen Soldaten in Afghanistan offensiver vorgehen. Die wachsende Kritik internationaler Partner an der Inflexibilität des deutschen Mandats am Hindukusch war nicht mehr zu überhören. Aber auch die Soldaten selbst forderten, schneller reagieren zu dürfen. Daraufhin hat die Bundesregierung einige ihrer Einschränkungen im Nato-Operationsplan fallen lassen. Und auch der Bundestag stimmte nach langem Zetern mehrheitlich der Entsendung von Awacs-Aufklärungsfliegern zu. 300 zusätzliche Soldaten sind im Rahmen der Mission vorgesehen. Das sind dreihundert zusätzliche Männer und Frauen, die die Sicherheit Deutschlands verteidigen. Diese begrüßenswerten Entscheidungen deuten eine neue Entwicklung bezüglich der Rolle Deutschlands in Afghanistan an.

Es gehen ihr zähe Auseinandersetzungen in Politik und Gesellschaft voraus, die deutlich machen, wie umstritten die deutsche Beteiligung an der Isaf-Schutztruppe ist, aber auch, wie groß das Unwissen über Sinn und Zweck dieses Engagements ist. Laut Umfragen spricht sich die Mehrheit in Deutschland für einen möglichst schnellen Rückzug der Bundeswehr aus. Tragische Verluste, wie der dreier junger Bundeswehrsoldaten vor wenigen Tagen, verstärken den Unmut. Deutsche Politiker lassen sich nun von den Umfragewerten zu Aussagen über mögliche Exit-Strategien verleiten. Und so wird die deutsche Isaf-Beteiligung mehr und mehr zum Wahlkampfthema.

2002 gelang es Gerhard Schröder, die Wähler mit dem Versprechen für sich zu gewinnen, dass es keine deutsche Beteiligung am Irakkrieg geben würde. Im diesjährigen Wahlkampf sollten Diskussionen über einen möglichen Ausstieg aus der Mission in Afghanistan jedoch vermieden werden. Welche Konsequenzen ein solcher Abgang hätte, scheint den Kritikern nicht klar zu sein. Schon jetzt bringen sie die Bundeswehrsoldaten am Hindukusch in Gefahr. Die Terroristen verfolgen wachsam die Auseinandersetzungen in Deutschland und verstärken gezielt ihre Angriffe, um die negative Stimmung weiter anzuheizen.

Insbesondere jetzt, wo die US- Regierung die Anzahl ihrer Bodentruppen in Afghanistan erhöht hat und die afghanischen Wahlen bevorstehen, darf eine Exit-Strategie nicht Thema werden. Die US- Truppen werden fortan die von Terroristen befreiten Gebiete so lange nicht verlassen, bis garantiert werden kann, dass die afghanische Regierung bis in den letzten Winkel des Landes präsent ist. Diese Strategie ist die richtige, und sie sollte auch von den Deutschen verfolgt werden. Gerade weil Deutschland seinen Einsatz als Friedensmission sieht, ist es entscheidend zu erkennen, dass er nur erfolgreich sein kann, wenn sie nicht nur zum Aufbau demokratischer Institutionen beiträgt, sondern auch deren Überleben sichert. Noch ist ein eigenständiges Überleben dieser Institutionen nicht möglich: Die Gewalt eskaliert weiter, und immer größere Teile des Landes gelten als unsicher. Sich jetzt zurückzuziehen, wäre sowohl kurz- als auch langfristig keine Lösung. Damit würden nicht Leben gerettet, sondern noch mehr Leben riskiert.

Wenn die mit Mühe aufgebauten demokratischen Institutionen wieder durch gewaltsamen Extremismus zerstört werden, wird es keinen Fortschritt geben. Weder für Afghanistan noch für den stark gefährdeten Nachbarn Pakistan oder für die internationale Gemeinschaft.

Es liegt an der Regierung, der Öffentlichkeit zu erklären, was auf dem Spiel steht. Deutschland befindet sich, und zwar in gleichen Maßen wie die USA, im Visier des globalen Terrorismus. Die Bundesrepublik kann nicht erwarten, dass andere Nationen ihre Sicherheit und ihren Wohlstand mitverteidigen. Deshalb sollte Berlin nicht weiter zögern, sondern entschlossen handeln.

Wenn die internationale Mission in Afghanistan missglückt, wird das Land erneut in die Hände der Terroristen fallen. Dieser Teufelskreis, aus dem das afghanische Volk seit Jahrzehnten nicht mehr herauskommt, muss endgültig gebrochen werden. Deutschland kann dazu beitragen.

Die Autorin leitet das Südasien- programm der International Crisis Group in Islamabad.

Samina Ahmed

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