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Positionen: Fairness für Obama!

Wir sollten uns freuen über den Bush-Kontrast – und nicht mäkeln. Ein Gastbeitrag von Hans-Dietrich Genscher.

Obama in Berlin – noch nicht einmal offizieller Kandidat der Demokraten. Dennoch – er hat sein Land schon jetzt verändert. Das wird bleiben – ob er gewählt wird oder nicht.

Der Mann hat eine Botschaft: Die Welt befindet sich in einem dramatischen Wandel, das verlangt neues Denken. Er nennt die Themen – auf manche gibt er Antworten: zum Beispiel, dass Amerika und Europa aufeinander angewiesen sind und mehr noch, dass sie eine gemeinsame Verantwortung tragen. Das ist die Abkehr von den Alleingängen der Bush-Regierung und die Neubelebung der transatlantischen Partnerschaft. Dabei haben Amerikaner und Europäer jeder für sich ihre Bringschuld zu erfüllen. Die Europäer müssen mit einer Stimme sprechen, und die Amerikaner müssen sich wieder eingliedern in die Allianz, in der sie der stärkste Partner sind, aber nicht der Oberbefehlshaber.

Eine Regierungserklärung hat Obama nicht abgegeben. Er steht im Wahlkampf, und natürlich hatte er das heimische Publikum vor Augen. Aber er hat sich auch an die Weltöffentlichkeit gewandt, und die hat ihn gehört.

Mehr noch, die Zweihunderttausend, die kamen, haben ihm vielfach begeistert zugestimmt. Vor allem dort, wo es um Freiheit und Menschenwürde ging, um globale Gerechtigkeit, um eine kooperative Weltordnung anstelle von Konfrontation. Er spricht von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem großen europäischen Volk der Russen, von der Dringlichkeit der nuklearen Abrüstung, zu der schon der Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet und die jetzt von Henry Kissinger, George Shultz, Sam Nunn und William Perry gefordert wird. Auf ihren Appell fehlt übrigens noch eine positive Reaktion der Europäer.

Begrüßt wurde seine Hinwendung zum Klimaschutz und zu einer multipolaren Weltordnung mit fairen Chancen für alle Regionen. Dass Obama auch Erwartungen an die Europäer hat, kann niemanden überraschen, Europa hat sie auch an die USA. Eine gemeinsame Bringschuld gegenüber unseren Soldaten und ihren Familien etwa ist ein strategisches Konzept für den Afghanistaneinsatz.

Manchem fällt es offensichtlich schwer, sich über die positive Aufnahme Obamas in Berlin zu freuen. Wurde doch in der Vergangenheit bei jeder Kritik an der Bush-Administration vor Antiamerikanismus gewarnt. Dass Obama so herzlich begrüßt wurde, sollte nun auch dem Letzten zeigen, dass nicht jede Kritik an Bush eine Kritik an den Amerikanern ist. Nicht nur in Amerika wird Obama als Kontrast zu Bush empfunden. Wohl auch deshalb die vorsichtige, aber doch deutlich sichtbare Distanz McCains zu Bush.

Die Welt in der Veränderung: Das bedeutet auch die Einsicht, dass die neue Weltordnung nur dann stabil sein wird, wenn sie überall in der Welt als gerecht empfunden werden kann, weil sie auf Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit gründet.

Obama hat in Berlin dem Mut der Berliner seinen Respekt bezeugt. Die Menschen waren es, die die Mauer niedergerissen haben. Das Wort Mauer wird in der Rede oft wiederholt, als Warnung an die westliche Welt, sich nicht im Wagenburgdenken einer Besitzstandswahrungsgesellschaft zu verirren. Man wird an das alte chinesische Sprichwort erinnert: „Wenn der Wind des Wandels weht, dann bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ Der Platz der Europäer und Amerikaner kann nur bei den Windmühlenbauern sein.

Warten wir ab, wer der neue Präsident sein wird und was er als sein Programm formuliert. Vorschnelle Urteile sind unangemessen, und der Versuch, einem lebensjüngeren Kandidaten mangelnde Erfahrung vorzuwerfen – ihn gar als Novizen zu bezeichnen, ist ungerecht. Immerhin, als es darum ging, Ja oder Nein zu sagen zu dem unheilvollen Krieg im Irak, gehörte Obama zu den wenigen, die aufgrund ihrer Urteilsfähigkeit und ihrer Verantwortung ein klares „Nein“ sprachen. Deshalb: Fairness für Obama.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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