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POSITIONEN: Frankreich streitet für ein soziales Europa

Sarkozy, Merkel, Cameron, Berlusconi, Zapatero & Co milliardenschwere Sparpakete. Doch die europäischen Sparpläne gefährden den Aufschwung.

Frankreich befindet sich seit Tagen im Ausnahmezustand. Beschäftigte, Oberschüler und Studierende streiken und protestieren gegen die geplante Rentenreform. Auf der linken Rheinseite streiten Jung und Alt gegen ein höheres Renteneintrittsalter. Allerdings ist die Rentenreform nur der Auslöser, nicht die Ursache der Massenproteste.

In Frankreich sollen die Beschäftigten die Zeche der großen Wirtschafts- und Finanzkrise zahlen. Dagegen wehren sie sich. Ihr Protest ist aber nicht auf die Grenzen Frankreichs begrenzt. Überall in Europa gibt es vergleichbare Konflikte. Überall in Europa müssen sich Beschäftigte, Rentner, Arbeitslose, Schüler und Studenten gegen eine Politik zur Wehr setzen, die keine Lehren aus der Krise zieht.

Die Krise ließ die Staatsschulden europaweit explodieren. Bankenrettung, Konjunkturpakete, Steuerausfälle und steigende Arbeitslosigkeit sprengten die öffentlichen Kassen. Jetzt schnüren Sarkozy, Merkel, Cameron, Berlusconi, Zapatero & Co milliardenschwere Sparpakete. Überall auf dem alten Kontinent sollen abhängig Beschäftigte, Arbeitslose und Rentner den Gürtel enger schnallen. Öffentliches Personal wird abgebaut, Gehälter werden gekürzt, Schulen, Schwimmbäder und Bibliotheken geschlossen, staatliche Investitionen eingefroren und das Renteneintrittsalter wird angehoben. Die Staatenlenker des Euro-Clubs und Großbritanniens wollen bis 2013 rund 400 Milliarden Euro kürzen, um die EU-Schuldengrenzen einzuhalten.

Angela Merkel schnürte bereits im Sommer ein 80 Milliarden Euro schweres sogenanntes Sparpaket. Die deutsche Bundesregierung kürzt allein 30 Milliarden Euro im Sozialbereich – bei Arbeitslosen sowie Hartz-IV-Empfängern und deren Kindern. Weitere 13 Milliarden Euro sollen in der Verwaltung gestrichen werden.

Das französische Kürzungspaket ist 55 Milliarden Euro schwer. Rund 100 000 Beamtenstellen sollen gestrichen werden. Wohngeld und Arbeitsmarktzuschüsse sollen gekürzt werden. Und auch in Frankreich soll die Rente mit 67 bis 2018 und damit weitaus schneller als in Deutschland eingeführt werden.

Das europäische Streichorchester ist sozial und ökonomisch schädlich. Die wirtschaftliche Erholung Europas hängt an staatlichen Konjunkturhilfen und am Ausland. Unternehmensinvestitionen und Löhne kommen kaum vom Fleck. Zudem ist die wirtschaftliche Entwicklung unseres Kontinents tief gespalten. Während die exportorientierte deutsche Wirtschaft boomt, stecken Griechenland, Irland, Spanien und Portugal tief im Krisensumpf. Und auch in Frankreich und Italien stottert der Wachstumsmotor.

Wenn die EU-Schatzmeister jetzt Investitionen und Sozialausgaben streichen, dann droht uns ein langjähriger wirtschaftlicher Stillstand. Ein Staatshaushalt ist kein Privathaushalt. Schrumpfende Staatsausgaben drosseln auch die Unternehmensgewinne. Handwerk und Bau erhalten weniger öffentliche Aufträge. Beschäftigte, Arbeitslose und Bedürftige kaufen weniger. In der Krise wirken Sparpakete als Wachstumsbremse. Wachstum und Steuereinnahmen sinken, Arbeitslosigkeit und Schulden steigen.

Die Europäischen Gewerkschaften wollen diese politische Geisterfahrt stoppen. Wir wollen nicht, dass die Zukunft von Millionen Arbeitnehmern, sozial Schwachen sowie ihrer Kinder durch eine ökonomisch schädliche und sozial ungerechte Kürzungspolitik gefährdet wird.

Europa braucht jetzt einen Politikwechsel für Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit. Die Nationalstaaten müssen ihre öffentlichen Investitionen in Bildung, Gesundheit, Umwelt und Verkehrsinfrastruktur aufstocken. Der öffentliche Sektor muss ausgebaut werden. Die sozialen Sicherungssysteme müssen armutsfest gemacht werden. Eine solche Politik erfordert höhere öffentliche Ausgaben. Kurzfristig führt dies zu höheren Schulden. Mittelfristig wachsen die Volkswirtschaften aus dem Schuldenberg heraus. Gleichzeitig muss aber auch die chronische Unterfinanzierung unserer Staaten beendet werden. Hierfür brauchen wir höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen.

Der Autor ist Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi und Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen.

Frank Bsirske

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