zum Hauptinhalt
Markus Dröge ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

© promo

POSITIONEN: Gott steht auf der Seite der Schwachen

Glaube ist zwar etwas sehr Persönliches – aber keine Privatsache.

Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, so ruft der Engel den Hirten die Weihnachtsfreude auf den Feldern von Bethlehem zu. In den Schaufenstern großer Kaufhäuser schwingen in diesen Tagen Stoffbären kleine Hämmer, fahren Eisenbahn und versetzen den Betrachter in eine kindliche Erinnerungswelt. Weihnachtliche Melodien begleiten den Einkauf. Auch wenn die theologischen Inhalte im Trubel der letzten Wochen des Jahres oft nur noch in Spuren erkennbar sind, verweist das Weihnachtsfest doch mit hoher öffentlicher Wahrnehmung auf die christliche Tradition, die unser Land prägt.

Würde uns etwas fehlen, wenn die christlichen Feste nicht mehr Teil der öffentlichen Kultur wären? Manchem gilt schon die Benennung der christlichen Namen unserer Feste als Bevorzugung einer bestimmten Religion und als Provokation für die religiös nicht Gebundenen. Weihnachtsmärkte sollen dann Wintermärkte heißen, wie jüngst in einem Berliner Bezirk gefordert. Es reiche, Weihnachten als privates Fest zu feiern. Genährt wird der Wunsch nach Privatisierung des Religiösen durch das weltweite Erstarken des religiösen Fanatismus, der gesellschaftliche Konflikte erzeugt oder gar Gewalt legitimiert. Aber darf dieser Missbrauch zum Anlass genommen werden, Religion generell einzudämmen? Wäre eine strikt säkularisierte Gesellschaft ohne öffentliche Religion wirklich ein zivilisatorischer Fortschritt?

Jede Religion hat eine politische Seite, will das öffentliche Leben mitgestalten. Aktuell stellen sich bei uns viele Kirchengemeinden bewusst gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit. Sie feiern Willkommensfeste für Flüchtlinge, weil sie die Weihnachtsbotschaft ernst nehmen: Gott wird Mensch und gibt sich in einem Flüchtlingskind zu erkennen. Die Kirchen wirken durch ihre Bildungs- und Sozialarbeit in die Gesellschaft hinein, entlasten den Staat von Pflichtaufgaben, unterstützt durch ehrenamtliche Arbeit und die Steuern ihrer Mitglieder. Nein, nicht privatisierte Religion, sondern die Gestaltung einer Gesellschaft, die das öffentliche Wirken der Religionsgemeinschaften aktiv fördert, ist zukunftsweisend. Das wusste schon Immanuel Kant, der in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ für eine kultivierte öffentliche Religion wirbt. Unterschiedliche Religionen müssen in edlen Wettstreit treten und durch Wort und Tat zeigen, welche humanitäre Kraft in ihrer jeweiligen Botschaft steckt.

Unser Religionssystem erlaubt dies in vorbildhafter Weise. Während in anderen Weltgegenden radikalisierte Religion das friedliche Zusammenleben zerstört, kann bei uns der Religionsfriede gewahrt und weiterentwickelt werden, nicht zuletzt durch verlässliche Strukturen religiösen Lebens. Diese Art öffentlich gelebter und staatlich geförderter Religion ist keineswegs überholt, im Gegenteil: Sie ist ein Erfolgsmodell, offen auch für andere Religionen. Die Weihnachtszeit ist deshalb auch die Zeit, all denen zu danken, die mit ihrer Kirchensteuer dazu beitragen, dass die Kirchen ihren Beitrag zur Humanität unserer Gesellschaft leisten können.

Die Weihnachtsgeschichte beginnt sehr weltlich. Der Zimmermann Josef und seine schwangere Frau Maria begeben sich nach Bethlehem, weil Kaiser Augustus eine Volkszählung befohlen hat. Die Geburt des Flüchtlingskindes im Stall, das in seiner sozialen Umwelt nicht willkommen ist, wird vom Evangelisten Lukas nicht als private Familiengeschichte erzählt, sondern in einen weltgeschichtlichen und politisch höchst brisanten öffentlichen Kontext gestellt. Die Geburtsgeschichte dekliniert das Gottesverständnis an den Machtbildern ihrer Zeit. Gott kommt nicht mit den üblichen Insignien der Macht, sondern als verletzliches und gefährdetes Migrantenkind zur Welt. In keiner anderen Religion wird so anschaulich vermittelt, dass Gott auf der Seite der Schwachen steht. Mit der Weihnachtsgeschichte haben die christlichen Kirchen den Auftrag, diese Botschaft ins öffentliche Leben zu tragen. Denn Glaube ist zwar etwas sehr Persönliches, aber keine Privatsache.

Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false