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Meinung: Positionen: Krieg um das falsche Wort

Von dem großen italienischen Intellektuellen (und Kommunisten) Antonio Gramsci stammt der Hinweis, dass politische Organisationen nie vergessen dürfen, im Vorfeld der harten Politik (zum Beispiel also von Wahlen) um "kulturelle Hegemonie" zu kämpfen. Heiner Geißler muss Gramsci gelesen haben.

Von dem großen italienischen Intellektuellen (und Kommunisten) Antonio Gramsci stammt der Hinweis, dass politische Organisationen nie vergessen dürfen, im Vorfeld der harten Politik (zum Beispiel also von Wahlen) um "kulturelle Hegemonie" zu kämpfen. Heiner Geißler muss Gramsci gelesen haben. Friedrich Merz, so steht zu vermuten, hat Heiner Geißler gelesen. Deshalb erfand er den Begriff der "Leitkultur". Seine Mitstreiter verteidigten ihn mit der Bemerkung, er müsse richtig sein, weil er den Gegner irritiere.

Der unvoreingenommene Beobachter kann die Idee des Friedrich Merz durchaus verstehen. Die Union hat eine Frontbegradigung vorgenommen, indem sie den Begriff "Einwanderungsland" akzeptierte. Da musste sie an anderer Stelle in die Offensive gehen. Bleibt nur die Frage, ob diese Offensive auch an der richtigen Stelle vorangetrieben wurde.

Friedrich Merz ist es nämlich gelungen, den Gegner - die politische Linke - mit seiner Kampagne zu vereinen statt zu spalten. Gespalten hat er den eigenen Verein. Dabei spielt es nur eine begrenzte Rolle, dass ihm die üblichen Verdächtigen aus der eigenen Partei widersprechen: Heiner Geißler, Rita Süssmuth, Friedbert Pflüger, aber auch Peter Müller. Bedenklicher ist schon die furiose Gegnerschaft aus dem Zentralrat der Juden, also von Paul Spiegel und Michel Friedmann. Nur die selbstbewusste CSU (Glück und Glos) hat es noch gewagt, Spiegels erbarmungslos schmissige Polemik zurückzuweisen. Und selbst das Zentralorgan hochkonservativer Argumentationskultur, die "FAZ", ging, wenigstens im Feuilleton, auf Gegenkurs. Sie fingierte eine Stellungnahme Thomas Manns aus dem Jahre 1928, in der er sich gegen einen Vorgänger von Friedrich Merz, den Zentrumsabgeordneten Mey zur Wehr setzte, der auch schon einmal eine deutsche Leitkultur (damals noch mit großem C) verlangt hatte: "Und sperrten wir, meine Herren, unsere nationalen Grenzen nach allen vier Windrichtungen hermetisch; vereinten wir uns unter der Wotanseiche unter wilden Verwünschungen zu dem Schwure, weder im Urtext noch auf Deutsch eine Silbe europäischer Literatur noch zu lesen - das Ideal ethnischer Verdummung bliebe ein Wunschtraum. Wir haben den Feind im Land. Goethe, Lichtenberg, Schopenhauer; es hilft nichts". Schön gefälscht.

Merz ist kein Nationalist. Vermutlich wollte er die deutsche Kultur weder gegen den Islam oder Konfuzius abschotten noch den Bau von Moscheen in Deutschland verbieten lassen. Aber er hat auf die Zeichen der Zeit nicht genau genug geachtet. George W. Bush hat viele seiner Wahlreden in den Vereinigten Staaten auf Spanisch gehalten; Millionen Amerikaner sprechen nicht mehr Englisch. Das muss man nicht mögen, aber man verhindert es nicht, in dem man den Kulturbegriff mit einem autoritär wirkenden Präfix versieht.

Der Versuch, mit einem klug gewählten Begriff die Meinungsführerschaft zu erobern, ist politisch legitim. In diesem Fall aber ist er schief gegangen. Merz hat sein eigenes Lager in Verwirrung gestürzt.

Peter Glotz

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