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Positionen: Nicht die fünfte Kolonne Putins

Seit Ausbruch der Krise im Kaukasus werden aus Pauschalurteilen über die russische Politik rasch Pauschalverurteilungen gegen Russland und Russen insgesamt. Deutschland verschenkt dabei das Potenzial der Russlanddeutschen.

Das Gespenst des Kalten Krieges geht wieder um. Seit Ausbruch der Krise im Kaukasus werden aus Pauschalurteilen über die russische Politik rasch Pauschalverurteilungen gegen Russland und Russen insgesamt. Was dabei übersehen wird: Deutschland ist von dieser Abkühlung in seinem Inneren betroffen: Nirgendwo sonst im „alten Europa“ leben so viele Menschen mit russischem Hintergrund. Ihre Lage inmitten unserer Gesellschaft gibt Anlass zur Sorge: Seit 1990 sind rund 3 Millionen „Spätaussiedler“ nach Deutschland gekommen – die meisten nach jahrzehntelangem Joch sowjetischer Repression. Allein in Berlin leben circa 120 000 russischsprachige Migranten, wozu auch jüdische Einwanderer gehören.

Statistisch gesehen sind die Spätaussiedler jung. Sie sind potenzielle Leistungsträger, die in unserer Gesellschaft mit anpacken wollen. Viele erfüllen sich erst in Deutschland, der Heimat ihrer Vorfahren, den Wunsch nach Kindern.

Doch der berufliche Einstieg ist schwer. Etwa dadurch, dass ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. Oder dadurch, dass sie in deutschen Provinzstädten untergebracht sind, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist. Wenn sie Arbeit finden, ist sie meist weit unter ihrer Qualifikation. Das liegt auch an der Sprache. Deutsch durfte in der Sowjetunion nach dem Weltkrieg nicht mehr öffentlich gebraucht werden. Es ist ein Teufelskreis: keine Sprache, kein Job; kein Job, kein Spracherwerb. Viele umgehen das Problem, indem sie Dienstleistungen für ihresgleichen anbieten: russische Geschäfte, Werkstätten, Reisebüros – der Weg in eine Parallelgesellschaft.

Seien wir ehrlich: Wir sehen in den Spätaussiedlern vor allem „Russen“. Wir bemängeln ihre Sprachkenntnisse und bezweifeln, dass sie aus anderen als aus materiellen Gründen gekommen sind. Man bleibt sich fremd und trägt unter Jugendlichen die Konflikte vermehrt gewaltsam aus. Politisch profitieren die Ränder: Die Linke, aber auch die NPD haben das Potenzial der gesellschaftlich Marginalisierten und gleichwohl Wahlberechtigten längst erkannt.

Was also tun? Erstens: Schluss mit der Pikiertheit nach dem Motto „Ihr seid nicht so, wie wir uns euch vorgestellt haben“. Stattdessen sollten wir die Aussiedler gerade in ihrer doppelten Identität – der deutschen und der russischen – annehmen und ihnen eine wesentliche Rolle in unserer Gesellschaft zudenken. Mit der steigenden Bedeutung Russlands können wir froh sein, dass bei uns eine zweisprachige Generation heranwächst. In Berlin profitieren bereits Kinder aus deutschsprachigen Elternhäusern von bilingualen Einrichtungen.

Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass Spätaussiedlern durch Zusatzqualifikationen der Berufseinstieg möglich wird. Die sowjetisch-russische Ausbildung hat exzellente Pädagogen und Lehrer hervorgebracht, wenngleich wir uns mit dieser Erkenntnis schwertun. Auch bei anderen Berufsgruppen wie Handwerkern, Technikern und Pflegepersonal sollten wir uns zur Anerkennung sowjetischer oder russischer Diplome durchringen – so wie es kürzlich der Bundesinnenminister gefordert hat.

Drittens: Das neu erwachte Interesse Moskaus an der „russischen Diaspora“ sollten wir weniger als Konkurrenz denn als Ansatzpunkt für gemeinsames Handeln sehen. Schon erstaunlich, dass wir erst jetzt, da bereits eine Rückwanderung nach Russland einsetzt, entdecken, welch ungenutztes Potenzial wir unter uns haben. In Fragen der Zweisprachigkeit hat uns Russland als Vielvölkerstaat viel voraus. Hier können wir vom Erfahrungsaustausch, aber auch ganz unmittelbar von russischen Lehrmaterialien profitieren.

Unsere russlanddeutschen Mitbürger sind in beiden Kulturkreisen zu Hause. Wir sollten dafür sorgen, dass sie sich als solche identifizieren und wohlfühlen. Integration funktioniert nicht allein als Bewegung derjenigen, die neu in eine Gesellschaft dazu kommen. Wenn auch wir uns bewegen, ist kein Platz für Pauschalverurteilungen. Dann hätten wir mit den Russlanddeutschen eine tragende kulturelle Brücke zu Russland und damit einen wertvollen Trumpf im Ringen um einen dauerhaften Frieden in Europa – gerade jetzt.

Die Autorin ist Aussiedlerbeauftragte der CDU Berlin-Lichtenberg.

Cordula Wieck

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