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Meinung: Positionen: Nur wer klug fragt, bekommt auch kluge Antworten

Nach der Umfrage, die kürzlich der "Spiegel" in Auftrag gab, um Exaktes über das Verhältnis der Deutschen zur NS-Vergangenheit zu erfahren, glauben 65 Prozent, dass die deutsche Geschichte zu stark auf die zwölf Jahre des NS-Regimes reduziert werde. Gleichzeitig meinen 57 Prozent, Kinder und Jugendliche erführen in der Schule zu wenig über die Hitlerzeit.

Nach der Umfrage, die kürzlich der "Spiegel" in Auftrag gab, um Exaktes über das Verhältnis der Deutschen zur NS-Vergangenheit zu erfahren, glauben 65 Prozent, dass die deutsche Geschichte zu stark auf die zwölf Jahre des NS-Regimes reduziert werde. Gleichzeitig meinen 57 Prozent, Kinder und Jugendliche erführen in der Schule zu wenig über die Hitlerzeit. In der Selbsteinschätzung glaubt die Hälfte der Befragten, über das schwierige Kapitel deutscher Geschichte "einigermaßen Bescheid zu wissen", um dann die stereotype Antwort auf die Frage nach den Ursachen "dass ein Mann wie Hitler an die Macht kommen konnte" zu geben: wirtschaftliche Not und hohe Arbeitslosigkeit rangieren an erster Stelle, die "persönliche Ausstrahlung Hitler" an letzter.

Um die persönliche Ausstrahlung Hitlers macht sich der "Spiegel" verdient, rief er uns doch mit dem auf allen Plakatwänden der Republik martialisch prunkenden "Führer" die Siegerpose Hitlers ins Gedächtnis, als ob ohne affirmative Bilder aus den Arsenalen hagiographischer Berichterstattung Geschichte nicht erklärt werden könnte. Sind die Gestalter von Titelseite und Plakaten so naiv, dass sie das Bild mit seiner Werbekraft für aufklärend halten? Oder ist es der Selbstlauf medialer Inszenierung, die dem Publikum nur die erwarteten immer gleichen Bilder offeriert? Und zwar Bilder und Gesten, die von der nationalsozialistischen Propaganda erzeugt und als Instrumentarium der Herrschaftstechnik verwendet wurden.

Für den Siegeszug in die Sackgasse unter dem Banner der Aufklärung ist die Inszenierung "Hitlers langer Schatten" ein treffliches Beispiel. Was gibt es, neben den Fotos aus der Zeit, Authentischeres als die Meinungsumfrage? Man muss nur die richtigen Fragen stellen, um die Wahrheit zu ergründen. Also: "Wie würden Sie die Person Hitlers in der Geschichte einstufen?" Auf der fünfstufigen Skala von "absolut positiv" bis "absolut negativ" entscheidet sich fast keiner für das erste, die Mehrheit (61) ist für das letztere und beweist damit gegenüber den Zögernden ("teils, teils", 15 und "eher negativ", 18) korrektes Bewusstsein und straffe Haltung. Die Institutionen der politischen Bildung werden dies mit Befriedigung konstatieren.

Durch häufiges oder gelegentliches Betrachten von Fernsehdokumentationen über das Dritte Reich (64), durch Lektüre von "Fachbüchern" (22) und durch Romane, die im Dritten Reich spielen (18) informieren sich die Deutschen laut Emnid. Der Historiker freut sich über das Interesse an Fachbüchern. Und die Schriftsteller dürfen glücklich sein, dass ihre Belletristik so viel zur allgemeinen Aufklärung beiträgt. Bei der großen Zahl einschlägiger Romane kann man freilich auch kaum anderes vermuten.

Der Beliebigkeit und Banalität der Fragen entsprechen die Zwangsläufigkeit, die Bemühtheit und das Ungefähr der Antworten. Dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen bei solcher Gelegenheit die Überzeugung äußert, es dürfe nie wieder Nationalsozialismus geben, ist so erfreulich wie stereotyp und sagt über Einstellungen, Gesinnung, Überzeugung wenig aus. Dass die Wiedergutmachungsleistungen nach Volkes Meinung zu hoch (24), angemessen (45), zu niedrig (22) sind, beweist nichts über den sekundären Antisemitismus. Und die Vermutungen, wie viele Bundesbürger "gegen die Juden eingestellt" sind, bleiben in ihrer Pauschalität belanglos. In der Kneipe, am Arbeitsplatz und anderenorts geht es zu Themen wie der Entschädigung für Zwangsarbeiter oder über die vermeintliche "Holocaust-Industrie" unmittelbarer zur Sache. Der Alltagsdiskurs mit seinen Ressentiments, seiner Perpetuierung von Feindbildern bildet sich in flüchtiger Demoskopie unter schlichter Fragestellung aber nicht ab.

Die Stereotypen der Selbstwahrnehmung bestätigen sich durch solche hitlerzentrische Meinungsforschung selbst. Weitere Erkenntnis ist daraus aber nicht zu gewinnen. Zitate aus Meinungsumfragen haben jedoch Beweiskraft und schmücken als ultimative Feststellung die Politikerrede. Angesichts des verbreiteten Glaubens an die Gültigkeit ihrer Ergebnisse wird man aber fragen dürfen, wozu die Zementierung von Mutmaßungen in Stereotypen dient. Wohl eher der Tradierung von Vorurteilen, gewiss nicht der Aufklärung über historische Sachverhalte und ihre Wirkungen in der Gegenwart.

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