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POSITIONEN: Prüfstein Kosovo

Im eigenen Haus entscheidet sich, was die EU in der Welt zählt Von Cornelius Adebahr

Die Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo über die Zukunft der Provinz sind in der entscheidenden Phase. Die vermittelnde Troika aus EU, USA und Russland hat gestern ein weiteres Treffen der Parteien für den 22. Oktober in Wien angekündigt. Bis zum 10. Dezember muss es nach dem Willen der Troika eine Einigung geben. EU-Vermittler Ischinger spricht bereits von „schmerzhaften Entscheidungen“, die beiden Seiten bevorstünden.

Dass die Zukunft der gesamten Region in der Europäischen Union (EU) liegt, ist so banal wie bekannt. Doch wird die EU ihrerseits noch keineswegs ihrer kontinentalen Führungsrolle gerecht.

In den gegenwärtigen Verhandlungen haben sich sowohl Russland als auch die Vereinigten Staaten mit einseitigen Loyalitätsversprechen gegenseitig blockiert. Fernab der wirklichen Probleme vor Ort ist die Statusfrage so zu einer Spielkarte im gegenwärtigen globalen Machtpoker geworden. Dieser Stillstand lässt sich nur durch einen serbisch-kosovarischen Kompromiss überwinden. Hierfür wiederum kann glaubhaft nur die EU eintreten. Sie bietet nicht nur den regionalen Ordnungsrahmen, sondern ist als „ständige Kompromissanstalt“ auch ein geeigneter Vermittler. Ihre bislang als Schwäche bemängelte Uneinigkeit könnte im Verhandlungsprozess zu ihrer größten Stärke werden: Unter ihren Mitgliedstaaten finden sich Befürworter genauso wie Skeptiker einer Unabhängigkeit, traditionell dem Balkan gewogene Staaten ebenso wie eher geopolitisch orientierte. Schließlich verfügt die EU über das Einzige, was Serben und Kosovaren in ihrem Streben eint: das Versprechen der Mitgliedschaft.

All diese Faktoren kommen jedoch nur unter zwei Bedingungen zum Tragen: Erstens müssen beide Parteien ernsthaft miteinander verhandeln. Dies war in der Vergangenheit nicht der Fall, da es gewichtige Fürsprecher für die jeweilige Maximalposition gab und das Ergebnis vorweggenommen zu sein schien. Für die aktuellen Verhandlungen müssten also Amerikaner und Russen ihren Verbündeten klarmachen, dass der Prozess offen ist und sie eine Einigung wünschen.

Zum Zweiten müsste die EU bereit sein, für diese Einigung ihr politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Gewicht in die Waagschale zu legen. Nur dann können gegenwärtig diskutierte Modelle, wie etwa ein Staatenbund, ein EU-Treuhandgebiet oder jahrzehntelange Pacht (Modell Hongkong), an die Stelle der alternativlosen Argumentation von Unabhängigkeit oder Unfreiheit treten.

Ein Scheitern der Verhandlungen hingegen hätte weitreichende negative Konsequenzen. Die zu erwartende einseitige Unabhängigkeitserklärung der Kosovaren würde der dort stationierten Friedenstruppe die völkerrechtliche Grundlage nehmen und die weitere Region (und möglicherweise andere wie den Südkaukasus) destabilisieren. Die EU stünde vor einer Zerreißprobe über die Frage der Anerkennung, der UN-Sicherheitsrat wäre wieder einmal übergangen. Schließlich würde die Konfrontation zwischen den USA und Russland unnötig verschärft – zu einem Zeitpunkt, da andere globale Probleme eine Zusammenarbeit dieser beiden Staaten dringend erforderlich machen. Ein verstärktes Engagement der EU liegt also in ihrem eigenen Interesse.

Das gewalttätige Auseinanderbrechen des ehemaligen Jugoslawien traf die EU (und ihre Mitgliedstaaten!) unvorbereitet. Sie hatte keine Politik und keine Instrumente, mit denen sie auf die Wiederkehr des Krieges in Europa reagieren konnte. So beschämend die damalige Unfähigkeit war und ist, hat die Union doch daraus gelernt und sich nach und nach die militärischen und zivilen Fähigkeiten zum Krisenmanagement gegeben.

Wie tragisch wäre es, wenn sie nun am Verhandlungstisch scheiterte, weil ihr wieder einmal der politische Wille zur Durchsetzung ihrer ureigenen Interessen fehlte.

Der Autor ist Europa-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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