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POSITIONEN: RAF-Retro erzeugt Nestwärme

Zurzeit kann man keine Zeitung und kein Magazin aufschlagen, ohne dass der eine oder andere RAFler einem daraus finster entgegenblickt. Warum die Erinnerung an den deutschen Terror blüht und gedeiht

Man könnte meinen, wir lebten noch in den Siebzigern. Und Helmut Schmidt – der gefühlte Großvater der Deutschen – wird zu jeder Frage, jedem Missstand um seine Meinung gefragt, als sei er immer noch Bundeskanzler.

Die Welt ist nicht gerade friedlich; es gab gerade einen Krieg im Kaukasus, Pakistan erlebte seinen 11. September, in Südafrika tobt ein erbitterter Machtkampf, in China wurden Kinder vergiftet. Doch die Deutschen beschäftigen sich lieber damit, ob Andreas Baader nun gelispelt hat oder nicht.

Immerhin sind sie in ihrer großen Retrospektive, die sie seit Beginn des 21. Jahrhunderts vehement eingeläutet haben, ein paar Jahrzehnte aufgerückt: Nun geht es gerade mal nicht mehr um Hitlers Verhältnis zu Frauen und Hunden, sondern darum, wie viele coole Sonnenbrillen die Meinhof hatte oder wer mit wem schlief im „inner circle“ der RAF.

Neben modisch-historischen Nebensächlichkeiten wird gelegentlich auch Wichtiges thematisiert. Zum Beispiel die Frage, welche genauen Vorschläge der Krisenstab zum Umgang mit den RAFlern seinerzeit diskutierte. Einer Theorie nach sollten sie erschossen werden, falls sie den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer umbrächten. Viele Akten sind hierzu immer noch unter Verschluss.

Insgesamt aber verblüfft die Akribie und Permanenz, mit der sich die deutsche Öffentlichkeit diesem Kapitel deutscher Geschichte in ikonografischer Hingabe widmet. Ist der neue Eichinger-Film, der am heutigen Donnerstag in die Kinos kommt, daran schuld? Nein, er ist eher Symptom als Ursache.

Wer nun die Gazetten aufschlägt und sich die Fotostrecken anschaut, den überkommt weniger ein kalter Schauer (der überkommt einen, wenn man sich die Videos zu dem Anschlag in Islamabad anschaut), sondern eher ein behagliches Gefühl, beinahe so etwas wie „Nestwärme“.

Denn die RAFler sind keine Unbekannten aus einem globalisierten Irgendwo, die irgendwann irgendwen umbringen wollen. Sie sind uns mittlerweile vertraut, stehen für urdeutschen, hausgemachten Terror. Man weiß viel über sie, über ihr Elternhaus, ihren Werdegang, ihre Liebschaften, ihre körperlichen Stärken oder Gebrechen, ihre kulinarischen und musikalischen Präferenzen und vieles mehr.

Die RAFler sind nicht irgendwelche Hasskappen aus Ländern, deren Lage viele Deutsche auf einer Weltkarte nicht richtig angeben könnten; sie sind oder waren gewissermaßen die eigenen Söhne und Töchter, mit Eltern, die in Zeitungen lange Interviews geben und mit denen jeder mitfühlen kann. Auch haben damals und zum Teil noch heute einige Bürger mit der RAF sympathisiert.

Und der damalige Kampf der deutschen Stadtguerilleros gegen den Staat war im Vergleich zu einigen gegenwärtigen Konflikten verhältnismäßig überschaubar, geografisch eingegrenzt und wenigstens in Ansätzen rational. Denn sie töteten nicht irgendwen. Auch wenn sie brutalst vorgingen, hatten sie noch eine rudimentäre Logik, so etwas wie „Argumente“: Klassenkampf, Schweinesystem, Anti-Imperialismus, Anti-Vietnamkrieg.

Für die Opfer und ihre Angehörigen mag es unwichtig sein, ob die Rote Armee Fraktion mit oder ohne „Argument“ tötete. Aber für die Stabilität einer Gesellschaft macht es einen Unterschied, ob Tätern wenigstens Motive zugeordnet werden können oder nicht.

Es scheint, als ob man sich heute wieder nach einer Zeit zurücksehnt, in der man vor nichts Größerem Furcht haben musste als vor ein paar – im Nachhinein so jung, so naiv aussehenden – Jeansträgern mit Knarre. Und im Vergleich zu ganz und gar ungreifbaren Ängsten wie denen vor monströsen Tsunamis, versinkenden Städten oder tropischen Insekten in Mitteleuropa wirkt die damalige Furcht auch weniger allumfassend.

Zu guter Letzt: „Nestwärme“ verbreitet der Anblick der RAFler im Retro-Look auch deshalb, weil ihre Geschichte letztendlich eine Erfolgsgeschichte für die Bundesrepublik Deutschland darstellt, mithin für die westlichen Demokratien. Der Staat und dessen Institutionen erwiesen sich nur anfangs als hysterisch und starr, nachher als ebenso elastisch wie unnachgiebig. Andreas Baader und Gudrun Ensslin sind keine düsteren Schreckensgestalten mehr, sondern das „Bonnie & Clyde“-Pärchen der Politik.

Ein Tipp an künftige Terroristen: Erst mal die Filmrechte sichern!

Die Autorin, 1968 in West-Berlin geboren, ist Schriftstellerin. Sie studierte Kunstgeschichte, Amerikanistik und Germanistik. 1999 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Spielzone“. Ein Jahr später erhielt sie den Förderpreis des „Literaturpreises Ruhrgebiet“. Zuletzt erschienen 2006 ihr Roman „Der längste Tag des Jahres“ und 2007 der Essayband „Morgen nach Utopia“.

© Zeit-Online

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