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Positionen: Showdown in der Ukraine

Am Sonntag entscheidet sich die europäische Zukunft des Landes.

Für die Spitzenkandidaten des ukrainischen Wahlkampfes, der am Sonntag seinen Abschluss findet, gibt es eindeutige Symbole. Ministerpräsident Viktor Janukowitsch, Big Leader der „Partei der Regionen“ (Farbe Blau) wird von Russen-Pop und Showballett „Vabanque“ flankiert, bei dessen jungen Damen man kaum noch von Bekleidung sprechen kann. Die Spitzenkandidaten des Präsidentenblocks (Orange) treten nicht ohne den traditionellen Bandura-Spieler und dem feierlichen Absingen der Nationalhymne auf. Juri Luzenko von der Bewegung Nationale Selbstverteidigung, auf Platz eins der Präsidentenliste vorgerückt (Dunkelrot) hat schwarze Trommler zum Markenzeichen. Julia Timoschenko, Juletschka, fast immer im strahlenden Weiß, ist eine einzige Inszenierung für sich. Sie gibt die neue Jeanne d’Arc, die die Ukraine nach Europa führen will.

Auch die Inhalte stehen weitgehend fest. Im Wahlkampf der letzten Wochen wurde die Rollenverteilung der Kandidaten und Wahlblöcke klar. Janukowitsch wirbt für die Fortsetzung seines ökonomischen Konsolidierungsprogramms „Wohlstand für alle“.

Das orangene Lager um Präsident Juschtschenko, der mit einem Befreiungsschlag im Frühjahr die Neuwahlen erzwang und seine ehemalige Konkurrentin und jetzige Partnerin Timoschenko streben den Regierungswechsel an und suchten den Angriff. Juri Luzenko will das Krebsgeschwür der Korruption mit aller Härte angehen und propagiert die Errichtung einer Antikorruptionsbehörde mit weitreichenden Befugnissen. Außerdem geht es um die Abschaffung der uneingeschränkten Immunität der Abgeordneten, um die schlimmsten kriminellen Auswüchse im Parlament einzudämmen. Julia Timoschenko ist mit einem eigenen sozialpolitischen Programm unterwegs, greift die Kräfte der Restauration heftig an und verspricht die politische Wende.

Nur fünf oder sechs der zahlreich angetretenen Parteien haben die Chance, die Dreiprozenthürde zu überwinden und ins Parlament zu gelangen.

Jedes nähere Hinsehen zeigt, wie brüchig die Argumente und Versprechen auch der großen Parteien sind. Janukowitsch hat vorrangig die Interessen der großen ostukrainischen Oligarchen bedient und die eigenen Kader in die Sessel der Macht zurückbefördert. Die gestiegenen Löhne wurden durch die Inflationsrate aufgefressen, die Armut vieler Rentner hat sich kaum verändert. Außenpolitisch schwenkt die Partei der Regionen nach wie vor zwischen proeuropäischer Rhetorik und einem Annäherungskurs an Russland.

Auf der Gegenseite haben die Kräfte des orangenen Lagers zweimal gezeigt, mit der ersten Regierung Julia Timoschenkos nach der Maijdanrevolution, wie man einen Wahlsieg verspielen kann. Innere Zerstrittenheit und die Unfähigkeit, durchgreifende Reformen zu realisieren, haben viele ihrer Anhänger bitter enttäuscht. Jetzt nehmen sie mit neuen Kandidaten den dritten Anlauf und haben vielleicht noch eine Chance.

Das Wahlergebnis wird knapp zugunsten einer der beiden Seiten ausschlagen. An die Möglichkeit einer großen Koalition glauben nur noch Gesundbeter, zu tief sind Gräben und negativ die Erfahrungen. Worauf es ankommen wird, ist die Fähigkeit zum Kompromiss zwischen den Wahlsiegern und der unterlegenen Seite.

Die bisherigen Muster ukrainischer Politik, das Schwanken zwischen Kompromisslosigkeit, Selbstüberhebung und prinzipienlosen Kuhhandel sind ausgereizt. Nach dem Schauspiel der letzten Monate ist die Geduld der ukrainischen Wähler erschöpft. Weitere Monate der politischen Blockade werden sie ihren Politikern nicht durchgehen lassen.

Was in der Ukraine auf dem Spiel steht, ist nicht das Schicksal der einen oder anderen Partei, sondern die Frage, ob sich die Normen europäischer Politik durchsetzen, sich ein fairer Umgang zwischen Regierung und Opposition etabliert oder die postsowjetischen Herrschaftsmuster wieder eingeführt werden. Nicht zuletzt wird davon auch der weitere europäische Weg der Ukraine abhängen.

Der Autor, Ex-DDR-Bürgerrechtler und Publizist, veröffentlichte kürzlich das Buch „Farbenspiele – die Ukraine nach der Revolution in Orange“ (Fibre Verlag).

Wolfgang Templin

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