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Meinung: Positionen: Sie sind gute Partner, ziehen aber nicht immer am gleichen Strang

Ich weiß nicht, ob jemand in Warschau Präsident George W. Bush auf den zehnten Jahrestag des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrags hingewiesen hat.

Ich weiß nicht, ob jemand in Warschau Präsident George W. Bush auf den zehnten Jahrestag des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrags hingewiesen hat. Schließlich spielte sein Vater vor elf, zwölf Jahren eine delikate Vermittlerrolle zwischen Warschau und Bonn, als es in beiden Hauptstädten ein akutes Vertrauensdefizit gab. Auf ähnliche Dienste von George W. Bush sind Warschau und Berlin nicht mehr angewiesen.

Kurz vor den polnisch-deutschen Regierungskonsultationen heute in Frankfurt (Oder) empfing Warschau, sichtlich erfreut, den neuen US-Präsidenten. Amerika wird in Polen als wahrer Freund betrachtet, den man mehr als einmal in der Not kennengelernt hat. Das schafft Vertrauen. Aber die Not ist vorbei, sodass die Freundschaft heute unter völlig neuen Bedingungen gepflegt werden muss. Das hat mit Polens Beziehungen zu den Nachbarn zu tun, allen voran Deutschland. Ohne amerikanische Unterstützung wäre Polen nicht Nato-Mitglied geworden. Aber hätte die Osterweiterung des Bündnisses, das bisher größte Ereignis in der Geschichte Europas nach dem Kalten Krieg, überhaupt stattfinden können, wenn sich Polen und Deutschland vorher nicht auf eine gute Nachbarschaft verständigt hätten? Nein.

Das Bündnis und die Freundschaft mit Amerika sind, so empfinden es die meisten Polen, eine einfache Konsequenz der Geschichte. Das Bündnis und die Freundschaft mit Deutschland sind auch eine Schlussfolgerung aus der Geschichte, nur keine einfache. Die guten Beziehungen mit den USA sind erfreulich, aber nicht überraschend. Die gute Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschland ist eine der europäischen Sensationen, mit denen sich Historiker des 20. Jahrhunderts beschäftigen werden. Der Vertrag vom 17. Juni 1991 wird ihnen vielleicht als die symbolische Eröffnung dienen. Als einen Schlusspunkt des Kapitels werden sie den EU-Beitritt Polens nehmen. Sie werden das Datum schon kennen. Wir können es nur ahnen oder uns wünschen: 2004?

So wollen es wohl beide Seiten. Der EU-Beitritt ist seit Jahren das dominierende Thema der polnisch-deutschen Beziehungen. Die Bundesrepublik unterstützt Polen. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Deutschland hat sich mehr als jedes andere Land auf die Aufnahme Polens festgelegt. Auf der polnischen Seite wird das anerkannt und geschätzt. Aber arbeiten beide Länder dabei wirklich zusammen? Stimmen sie sich ab, um am gleichen Strang zu ziehen? Nutzen sie das Weimarer Dreieck, um auch den anderen großen Partner, Frankreich, einzubinden?

Nein, so sieht der Alltag leider nicht aus. Deutschland stellt sich jenen entgegen, die Polen aus der ersten Gruppe der Kandidaten ausschließen wollen, warnt aber gleichzeitig Warschau vor der Illusion, den Beitritt als garantiert zu betrachten. Polen drängt die Deutschen, ein verbindliches Datum des Beitritts zu nennen, weigert sich aber, in der Frage der Freizügigkeit Zugeständnisse zu machen. So hört die Öffentlichkeit beider Länder bei feierlichen Anlässen Beschwörungen polnisch-deutscher Harmonie in Sachen EU, die zu den alltäglichen Meldungen über die Beitrittsverhandlungen nicht so recht passen.

Der Beitritt wird kommen, ich bin davon überzeugt. 2004 werden auch die Polen das Europäische Parlament wählen können. Jetzt kommt es auf zwei Dinge an: Erstens müssen wir dafür sorgen, dass die Schlussrunde der Verhandlungen Polen und Deutschland zusammenführt, anstatt eine Entfremdung zwischen ihnen zu bewirken. Das erfordert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Regierungen, möglichst auch mit französischer Beteiligung. Zweitens müssen wir, so verfrüht das erscheinen mag, über Fragen der Zukunft der Europäischen Union so diskutieren, als ob auch Polen schon Mitglied wäre.

Zwei Themen bieten sich dafür an. Das eine ist die sogenannte Finalität der europäischen Integration. Noch vor wenigen Jahren schien es, dass zwischen polnischen und deutschen Vorstellungen eine unüberwindbare Kluft besteht. Heute ist das keineswegs sicher. Die Reaktionen auf die Vorschläge von Fischer, Rau und vor allem Schröder waren keineswegs ablehnend. Immer häufiger werden in Polen die Bekenntnisse zu einem, wie auch immer strukturierten, föderalen Europa. Das Dogma, je mehr Nationalstaat, umso besser für Polen, wurde gebrochen. Wer weiß, so wird in Polen immer häufiger gefragt, ob ein föderales Europa den polnischen Interessen nicht besser dienen könnte als ein intergouvernemental regiertes? Und dabei ist das polnische Grundinteresse mit dem deutschen identisch: Wir wollen ein Europa, das mit den zentrifugalen Kräften auf dem Kontinent fertig wird und ein akzeptables Gleichgewicht zwischen den europäischen Völkern schafft. Ein solches Europa wird keine Rivale, sondern ein Partner der USA in der globalen Verantwortung sein.

Das andere Interesse, das Polen und Deutschland verbindet, ist die Stabilisierung Osteuropas. Wenn das kleine Finnland die Nördliche Dimension zum Schwerpunkt der EU-Politik machen kann, warum sollte Polen nicht versuchen, mit Deutschland eine östliche Dimension zu entwickeln? Noch vor zehn Jahren erschien das undenkbar, nicht nur weil Polen von der EU noch viel weiter entfernt war. Eine polnisch-deutsche Verständigung über Russland, die Ukraine und Weißrussland erschien allein schon aus historisch-emotionalen Gründen unmöglich. Heute ist sie nicht nur möglich, sondern geradezu notwendig.

Der Autor war von 1990 bis 1995 erster Botschafter des demokratischen Polen in Deutschland und ist heute Direktor des Centrums für Internationale Beziehungen in Warschau.

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