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Meinung: Positionen: Stoiber - kein richtiger Rechter

Seit die Würfel für die Kanzlerkandidatur Edmund Stoibers gefallen sind, überbieten sich Akteure und Kommentatoren mit Versuchen, den Herausforderer von Gerhard Schröder politisch einzuordnen, ihn in seinem Profil zu bestimmen: Ins Zentrum rückt dabei die Frage nach dem ideologischen Standort:Ist Stoiber ein "Rechter" oder ein Mann der politischen Mitte?Als SPD-Generalsekretär Müntefering die erstgenannte Parole ausgab und Stoiber unmittelbar nach dessen Nominierung einen "Polarisierer" und "Spalter" nannte, folgte er einem naheliegenden Reflex.

Seit die Würfel für die Kanzlerkandidatur Edmund Stoibers gefallen sind, überbieten sich Akteure und Kommentatoren mit Versuchen, den Herausforderer von Gerhard Schröder politisch einzuordnen, ihn in seinem Profil zu bestimmen: Ins Zentrum rückt dabei die Frage nach dem ideologischen Standort:Ist Stoiber ein "Rechter" oder ein Mann der politischen Mitte?

Als SPD-Generalsekretär Müntefering die erstgenannte Parole ausgab und Stoiber unmittelbar nach dessen Nominierung einen "Polarisierer" und "Spalter" nannte, folgte er einem naheliegenden Reflex. Die Bezeichnung "rechts" trägt hierzulande ein Stigma, wird in der Bedeutung häufig gleichgesetzt mit "rechtsaußen" oder gar "rechtsextrem". Mit dem Begriff "links" verbinden sich demgegenüber eher positive Assoziationen, weshalb er von den sozialdemokratischen oder sozialistischen Parteien als (Selbst-)bezeichnung bewusst und mit gelegentlichem Stolz verwendet wird. Um der Stigmatisierung zu entgehen, entwickeln die rechten Parteien den Hang, sich als Vertreter einer - ideologisch unverdächtigen - Mitte hinzustellen. Manche gehen sogar noch weiter und wollen die Begriffe als Relikte der "politischen Gesäßgeografie des 19. Jahrhunderts" (Heiner Geißler) ganz ad acta legen.

Im Falle Stoibers funktionierte das in der letzten Woche ganz gut. Die Tatsache, dass die CSU in Bayern bei Wahlen an oder über die 50-Prozent-Marke reicht, passt ebenso wenig in das Bild des Polarisierers wie Stoibers Wirtschaftspolitik, der Beobachter zu Recht das Etikett "korporatistisch" aufgeklebt haben. Unter Verweis auf das Bündnis für Arbeit konnten Unionsvertreter genüsslich betonen, dass der Bayer in seinem Bundesland einen ähnlich pragmatischen Kurs steuere wie der Kanzler. Dies bedeutet nicht, dass in der Sozial- und Wirtschaftspolitik zwischen den Parteien keine Unterschiede mehr bestehen.

Sie bestehen zuhauf, lassen sich aber immer weniger in den ideologischen Kategorien der Richtungsbegriffe beschreiben. Gerhard Schröders Feststellung, wonach es heute nur noch eine moderne oder unmoderne Wirtschaftpolitik gebe, bringt den Wandel auf den Punkt. Kann die Arbeitslosigkeit mit Steuerentlastungen und Lohnkürzungen besser bekämpft werden, oder mit nachfragestimulierenden Ausgabenprogrammen? Ist der Niedriglohnsektor ein geeignetes Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen? An diesen Fragen geraten die Selbstgewissheiten von Rechts und Links ins Wanken.

Was für die Sozial- und Wirtschaftspolitik gilt, gilt aber nicht unbedingt für die gesellschaftspolitischen Themen. Man tut Edmund Stoiber sicher nicht unrecht, wenn man ihn als wertkonservativen Politiker bezeichnet. Gerade hier unterscheidet er sich am deutlichsten von den Vertretern der rot-grünen Regierungskoalition. Diese Unterschiede lassen sich mit dem Rechts-Links-Gegensatz nach wie vor auf den Begriff bringen, wie die Beispiele der Familien- oder Zuwanderungspolitik zeigen: Während die Konservativen das traditionelle Familienbild hochhalten, favorisieren die Linken ein eher offenes Verständnis von Familie, das der traditionellen Ehe andere Formen des familiären Zusammenlebens gleichstellen will. "Wo Kinder sind, da ist Familie." So brachte der Bundeskanzler seine Position auf den Punkt.

Die politische Trennlinie wird durch das Gleichheitsverständnis markiert: Wo die Linken für eine Politik der aktiven Gleichstellung eintreten - die aber die Anerkennung kultureller Differenz mit einschließt -, bleiben die Rechten unter Verweis auf bestehende so genannte natürliche Ungleichheiten skeptisch. So betrachtet ist Stoiber zweifellos ein "Rechter". Wertbezogene Konflikte spielen in der Politik heute wieder eine größere Rolle und prägen in zunehmenden Maße auch den Parteienwettbewerb. Dies hat vor allem mit den desintegrierenden Folgen der kulturellen Modernisierung zu tun, der Konfrontation mit abweichenden Wertvorstellungen und Lebensauffassungen. Sie zwingt dazu, Traditionen zu hinterfragen und weckt andererseits in den Menschen das Bedürfnis, für eine bestimmte Wertegemeinschaft Partei zu ergreifen.

Wertefragen wirken dabei ihrer Natur nach polarisierend. Im Unterschied zu Verteilungsfragen kaum kompromissfähig, vertragen sie sich schlecht mit dem auf Ausgleich angelegten demokratischen Prinzip. Der Aufstieg extremer Parteien, insbesondere auf der Rechten, die in einigen europäischen Ländern seit Mitte der achtziger Jahre beachtliche Wahlerfolge erzielt haben, muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Anders als seinerzeit Roland Koch ist Stoiber der Versuchung bisher widerstanden, die wertbezogenen Themen auf der Wahlkampfagenda ganz oben zu platzieren. Mit seinen neuerdings moderaten Tönen zur Zuwanderung will er offenbar diejenigen Wähler aus Schröders Neuer Mitte nicht verschrecken, die die Union für einen Wahlsieg zurückgewinnen muss. Stoiber kann sich die Zurückhaltung aus zwei Gründen leisten: Zum einen bietet die Regierung im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik zur Zeit genügend Angriffsflächen, zum anderen dürften ihm die Stimmen der wertkonservativen Wählerschaft ohnehin sicher sein. Die Kandidatur des CSU-Vorsitzenden sorgt dafür, dass die Union auf der rechten Flanke heute auch einen Ronald Schill wohl nicht zu fürchten braucht. Auf der anderen Seite weiß Gerhard Schröder, dass es sich bei den Modernisierungserfolgen, die seine Regierung auf gesellschaftspolitischem Gebiet erzielt hat - von der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts über die "Homo-Ehe" bis zum geplanten Zuwanderungsgesetz - nicht gerade um "Gewinnerthemen" handelt. Die Union verfügt unter diesen Bedingungen im Herbst über gute Mobilisierungschancen: Selbst wenn es für einen Wechsel im Kanzleramt nicht reichen sollte, könnte sie das Kunststück schaffen, nach nur vier Jahren an die Regierung zurückzukehren.

Der Autor lehrt Politische Wissenschaft an der Universität Bonn mit den Schwerpunkten Regierungssystemvergleich und Parteienforschung.

Frank Decker

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