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POSITIONEN: Wer Mais tankt, lässt Menschen hungern

Agrotreibstoffe wie Biodiesel und Ethanol sind ein Irrweg Von Oliver Müller

Erdöl, das schwarze Gold, Schmierstoff unserer Industriegesellschaft, ist in absehbarer Zeit Geschichte. Die Zukunft soll dem grünen Gold gehören: Biomasse. So sehen es die Propheten eines neuen Energiezeitalters. In Szenarien wird vorgerechnet, dass die Erde ohne weiteres in der Lage wäre, unseren Hunger nach Energie aus nachwachsenden Rohstoffen zu stillen.

Damit wären wir zwei unserer größten Sorgen, den Klimawandel und die sich abzeichnende Energieknappheit, für immer los, ein goldenes Zeitalter bräche heran. Selbst unsere größten Ressourcenverschwender, die Autos, ließen sich auf ewig weiterbetreiben: Agrotreibstoffe sollen es möglich machen. So verkünden es Politiker und Lobbyisten auf der ganzen Welt. Und das grüne Gold soll sprudeln. Die Europäische Union möchte bis ins Jahr 2020 den Anteil von Agrotreibstoffen auf zehn Prozent erhöhen. Deutschland ist der Musterknabe. Bereits 1,13 Millionen Hektar Rapsflächen sind für die Agrodieselgewinnung im Anbau. In den USA boomt derweil dank massiver staatlicher Förderung Ethanol, das aus Mais gewonnen wird.

Im Schwellenland Brasilien, das schon seit den 70er Jahren aus Zuckerrohr Ethanol gewinnt, sollen die Anbauflächen bis 2013 auf 18 Millionen Hektar verdreifacht werden – rund zehn Prozent der Ackerfläche. Der weltweite Agrodieselmarkt verspricht in den kommenden Jahren jährliche Wachstumsraten von 30 Prozent.

Die Folgen dieser Entwicklung sind verheerend. Die durch die Entwaldung freigesetzten Treibhausgase machen etwa Indonesien, ein Entwicklungsland, heute zum drittgrößten Kohlendioxidemittenten weltweit. Die Nachhaltigkeit der Ölbaumplantagen, die den Regenwald ersetzen, ist gleich null. Dazu macht die stark mechanisierte Plantagenwirtschaft Millionen Menschen arbeitslos. In Äthiopien, wo sich verschiedene Firmen anschicken, im großen Stil Energiepflanzen anzubauen, hungern nach wie vor vier Millionen Menschen. Weltweit sind es über 850 Millionen, und es ist zu befürchten, dass sich deren Zahl drastisch erhöhen wird. Denn die 800 Millionen Autofahrer sind die weit finanzkräftigeren Kunden als Hungernde. Diese Entwicklung ist bereits im Gang.

Gerade in den Ländern der dritten Welt erhöhen sich die Preise für Grundnahrungsmittel in weit höherem Ausmaß als hierzulande. Seit der Jahrtausendwende sind die Lebensmittel-Importkosten in den Entwicklungsländern um 90 Prozent angestiegen. Für die ärmsten Länder, die bis zu 50 Prozent ihres Nahrungsmittelbedarfs mit Importen decken, ist das eine katastrophale Entwicklung.

Es ist eine unbequeme Wahrheit: Agrotreibstoffe sind der falsche Weg. Denn sie machen alles nur noch schlimmer. Die Anreize, die auch in der EU geschaffen worden sind, befördern eine Entwicklung, die uns alle teuer zu stehen kommen wird. Seien wir ehrlich: Wir stoßen mit unserem Lebensstil an Grenzen. Es sind nicht mehr nur die Grenzen des Wachstums, es sind Grenzen, die uns letztlich die Natur setzt. Der Raubbau an Natur und Mensch muss aufhören.

Agrotreibstoffe sind nichts anderes als eine Fortsetzung ebendieser Ausbeutungspolitik. Das heißt nicht, gänzlich auf die Nutzung von Energie aus Pflanzen zu verzichten. Es gibt sehr sinnvolle Anwendungen, etwa in Biogasanlagen, die sich durch hohe Energieeffizienz auszeichnen. Doch zur Aufrechterhaltung unserer individuellen Mobilität ist jeder Maiskolben einer zu viel. Auf mittlere und lange Sicht brauchen wir eine deutlich reduzierte individuelle Mobilität mit motorisierten Fahrzeugen. Das wird nicht ohne Folgen auf unseren Lebensstil bleiben. Es wird auch bedeuten, die langen Transportwege zu verkürzen, den Fernhandel einzuschränken auf jene Produkte, die über den täglichen Bedarf hinaus Verwendung finden. Das globale Dorf wird schrumpfen auf ein gesundes, langfristig verträgliches Maß. Diese Maßnahmen werden uns näher zu unseren Wurzeln führen, zu einer an regionaler Produktion orientierten Wirtschaftsweise, zu einer Gesellschaft, die sich ihrer beschränkten Ressourcen bewusst ist. Das ist kein Unglück. Es ist, über kurz oder lang, der einzige Weg, der uns bleibt.

Der Autor ist Leiter von Caritas international.

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