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POSITIONEN: Zehn Gramm wiegen schwer

Beim Schönheitsideal für Autos darf es gerne etwas mehr sein. Die Reifen groß, der Antrieb Allrad, inklusive Kuhfänger und viel Extrablech. Das Ergebnis: tonnenschwere Geländewagen, die heute mehr und mehr das Bild auf Deutschlands durchaus wegsamen Straßen prägen.

Wenn das Europäische Parlament sich dieser Tage mit den Autobauern über Grammzahlen streitet, liegt es vor allem an diesen Extrakilos, die sich die Pkw in den vergangenen Jahren herangefressen haben. Als Folge ihrer aufgemotzten Produktpalette haben Europas Autohersteller eines ihrer wichtigsten umweltpolitischen Versprechen seit dem Katalysator gebrochen: den Schadstoffausstoß der Autos spürbar zu senken. 140 Gramm, diese Zahl steht für die technische Niederlage der Konzerne. So viel Kohlendioxid – knapp sechs Liter Benzin auf 100 Kilometer – sollte im Durchschnitt bis Ende 2007 aus dem Auspuff kommen pro gefahrenen Kilometer. Dass die Autoindustrie diese Zahl reißen wird, ist eindeutig: Europas Neuwagenflotte liegt derzeit bei 160 Gramm pro Kilometer, die deutschen Hersteller liegen mit 175 Gramm weit darüber.

Die Autoindustrie hinkt hinterher, während der Druck des Klimawandels wächst. In der EU sind Pkw mit 15 Prozent am Ausstoß von klimaschädlichen Gasen beteiligt. Der Verkehr ist einer der wenigen Sektoren, deren Ausstoß kontinuierlich ansteigt. Wenn die EU ihr Versprechen halten will, die Emissionen bis 2020 um ein Fünftel zu reduzieren, müssen die Autos weniger Sprit verbrauchen als heute. Es war daher nur konsequent, dass EU-Umweltkommissar Stavros Dimas die Initiative für eine EU-weite gesetzliche Obergrenze beim CO2-Ausstoß ergriffen hat. Seitdem tobt ein Kampf der Autolobby – ihr Ziel: eine Verwässerung der von Dimas anvisierten Grenze von 120 Gramm bis 2012. Die Hersteller selbst bieten 130 Gramm bis 2015 an; im Vergleich zu ihrer ursprünglichen Selbstverpflichtung ein Hohn.

Vor allem auf Druck von „Klimakanzlerin“ Merkel hat die Europäische Kommission den Ansatz Dimas’ auf 130 Gramm verwässert – Mercedes, Porsche und Co. haben offenbar ganze Arbeit geleistet. Zehn Gramm, könnte man meinen, ändern nicht die Welt. Doch soll nach Vorstellung der Kommission 2012 Schluss sein, in späteren Jahren sind keine weiteren Limits vorgesehen. Die Grünen schlagen vor, nach einem ersten Schritt im Jahr 2012 (bis 120 Gramm) bereits jetzt für 2020 das Ziel von 80 Gramm Ausstoß pro Kilometer festzulegen. Nur so fördert man technische Innovation, die den europäischen Autobauern nebenbei auch auf den internationalen Märkten eine Spitzenposition sichern würde. Und die EU könnte durch den Ansatz der Grünen zusätzlich 415 Millionen Tonnen CO2 einsparen – das entspricht etwa dem jährlichen Klimagasausstoß Frankreichs.

Technisch möglich ist schon lange mehr, als die Ingenieure der Autokonzerne zugeben wollen: Die Techniker des Umweltbundesamtes haben sich einen VW Golf vorgenommen und ihn mit bereits existierenden und auf dem Markt erhältlichen Teilen „getuned“. Statt 156 Gramm pro Kilometer in der Serienausstattung stieß er nur noch 105 Gramm CO2 aus. Auch europäischen Herstellern sollte klar sein: Nichts ist unmöglich.

Technik allein kann das Problem aber nicht lösen. Ein Blick nach China oder Indien, wo die Massenmotorisierung bevorsteht, sollte die Augen öffnen, dass gerade die Europäer ihr Mobilitätsverhalten überdenken müssen, wenn wir den globalen verkehrspolitischen Kollaps vermeiden wollen. Die Lösung beginnt vor der eigenen Haustür. In Städten ist die Hälfte aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer. Würde nur ein Drittel dieser Fahrten auf Bus, Bahn oder Fahrrad verlagert, könnte Deutschland seine CO2-Emissionen genau um die vier Prozentpunkte kürzen, die es braucht, um die im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungen zu erreichen.

Der Autor ist Mitglied des Europäischen Parlaments und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen- Fraktion.

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