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Präimplantationsdiagnostik: Kostenlos konservativ

Kanzlerin Angela Merkel und die Präimplantationsdiagnostik: Ein Lehrstück in Sachen Taktik.

Von Robert Birnbaum

Das Thema ist eigentlich zu ernst für taktische Erwägungen. Denn die Präimplantationsdiagnostik (PID), die Vorabselektion erbkranker Embryonen bei der künstlichen Befruchtung, wirft sehr schwierige moralische Fragen auf. Aber seit der Bundesgerichtshof der Politik die PID wieder auf die Tagesordnung gezwungen hat, ist aus der moralischen Frage zugleich auch die banal-normale Rechenaufgabe der Demokratie geworden: Im Streit der Meinungen setzt sich am Ende nicht eine höhere Wahrheit, sondern die Mehrheit durch.

Diese Vorbemerkung ist notwendig, weil sich ohne sie die merkwürdige Wandlung der Angela Merkel von der abwägenden Naturwissenschaftlerin zur scheinbaren Lebensschützerin nicht verstehen lässt. Merkel ist neuerdings und im Gegensatz zu früheren Aussagen klar für ein Verbot der PID. So hat sie das beim Deutschlandtag der Jungen Union gesagt, so steht es seither überall zu lesen. Nicht so weit verbreitet haben sich ihre Nachsätze: Man müsse sich aber, fuhr Merkel damals fort, gerade als PID-Gegner überlegen, ob man es auf eine freie Gewissensabstimmung im Parlament ankommen lassen wolle oder nicht doch klüger beraten wäre, auf einen Kompromiss im Vorfeld hinzuarbeiten.

Das war ein raffinierter Zug, allerdings etwas überschlau. Denn die Schlagzeile „Merkel für PID-Verbot“ überdeckte völlig die wahre Absicht der CDU-Chefin. Sie hat ihre Position auf der konservativen Seite bezogen, damit sie umso sicherer Schützenhilfe für die Kompromisssuche ihres Fraktionschefs Volker Kauder leisten konnte. Tatsächlich erreicht hat sie das Gegenteil: Ihre Positionsbestimmung torpedierte alle Versuche, die heikle Frage durch ein Moratorium erst mal vom Tisch zu kriegen und – dringend erwünschter Nebeneffekt – vom CDU-Parteitag fernzuhalten. Den Fraktionen von Union und FDP blieb als Ausweg nur, den Abgeordneten die Gewissensentscheidung im Bundestag freizustellen.

Im Ergebnis ist das sogar richtig. Befürworter und Gegner der PID haben beide achtbare Argumente; zugleich ist keine Position frei von logischen Brüchen. Die Mehrheit nach ihrem Gewissen entscheiden zu lassen, ist noch der geradeste der krummen Auswege aus dem Dilemma. Das Ergebnis ist allerdings absehbar. Es wird kein Verbot der PID geben. Angela Merkel wird diese Abstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren.

Da nun aber einiges dafür spricht, dass ihre PID-Gegnerschaft vorrangig taktischer Natur ist, wird die Kanzlerin das verschmerzen können. Die CDU-Vorsitzende profitiert vermutlich sogar. Ihr Meinungswandel ist ja vor allem deshalb so aufgefallen, weil sich Merkel stets geweigert hat, dem konservativen Flügel ihrer Partei inhaltlich entgegenzukommen. Eher war es ihr Markenzeichen, diese Truppen erst vor den Kopf zu stoßen und dann durch kostenlose symbolische Gesten wieder einzubinden. Im Streit um die PID hat Merkel sich zu den Konservativen geschlagen. Das bleibt aber frei von Folgen. So ist sogar dieser Konservativismus wieder – kostenlos.

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