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Präsident Gauck: Die Wahl zum Volksvertreter

Nach den Ereignissen vom Sonntag lässt sich mit einigem Recht herleiten, dass Joachim Gauck die Gabe hat, ein wirklicher Volksvertreter zu sein. Auf seine Art kann er das dringend nötige Vertrauen der Bürger neu begründen.

Nun hat er es, was sie sich erträumten, damals, bei der Wahl am 18. März vor 22 Jahren: das „Glück der Verantwortung“. Es waren die über Jahrzehnte in der damaligen DDR Entmündigten, Entrechteten, und er zählte zu ihnen, Joachim Gauck. Mehr als Präsident im glücklich vereinten Deutschland zu sein, geht in der Politik nicht. Und mehr Verantwortung fürs Gemeinsame auch nicht.

Der Bürger Gauck ist der Erste Bürger dieses Landes, und es ist, wie der Bundestagspräsident zuvor sagte: Die Nüchternheit des Verfassungstextes über das höchste Amt im Staat sagt nicht, was es bedeutet. Was es bedeuten kann, weil die Ausfüllung dem Inhaber nicht überlassen, sondern aufgetragen ist. Amt und Person sind nicht dasselbe, dem Irrtum darf keiner erliegen, der als Gewählter hilfreich sein will; aber das Amt kann mit der Person identifiziert werden, wie es glücklich auch schon manchem gelang.

Ehre ist etwas Äußeres, Würde etwas Inneres, meinte dem Sinn nach Bertolt Brecht. Die Ehre ist Gauck mit gut 80 Prozent zuteil geworden, weil die große Mehrheit glaubt, dass er würdig handeln wird. Würdig nicht im Sinn einer idealistischen Träumerei, sondern in realistischer Betrachtung der Wirklichkeit und der damit einhergehenden Bereitschaft, natürlich selbstbestimmt die Themen zu wählen, von denen er glaubt, dass sie den Menschen dieses Landes wichtig sind oder sein sollten. Im Letzteren liegt sein Akzent, liegt auch ein Teil der von Gauck so vielbeschworenen Freiheit: seine Freiheit, das Wesen unserer Demokratie zum Besten zu beeinflussen.

Er hat in dieser Hinsicht in seiner ersten, kurzen Rede aufhorchen lassen. Der schöne Sonntag, den Gauck empfand, war der der Wahl – vor 22 Jahren. Es war gestern, aber es war für ihn zuallererst die Wahl zur Volkskammer, nicht seine eigene. Das ist vorausschauende Bescheidenheit. Sich nicht selbst zu überhöhen bedeutet zugleich, sich nicht überhöhten Ansprüchen auszuliefern; was Gauck gelang, indem er im Forum der Öffentlichkeit, vom Rednerpult im Bundestag, versprach, sich neu auf Themen, Probleme und Personen einzulassen.

Nach gestern lässt sich mit einigem Recht herleiten, dass hier ein Deputierter des Volkes an die Spitze gekommen ist. Einer, der über die Gabe verfügt, wirklicher Volksvertreter zu sein. Wie er über diese Gabe verfügen will, auch darauf hat Gauck Hinweise gegeben. Er hat mehr als angedeutet, wie er seinen Freiheitsbegriff nutzen wird: als Freiheit nicht nur von etwas – das liegt hinter ihm, das ist ihm und der Mehrzahl der Menschen der versunkenen DDR vor Jahren gelungen –, sondern für und zu etwas. Für Europa, zum Beispiel, und für die Kinder der Menschen, die aus vielen fremden Ländern in dieses gekommen sind und es jetzt als ihres empfinden sollen. Wobei Gauck von Europa zuerst sprach.

Er stellt sich in eine Traditionslinie, auch in die seines Vorgängers, was sagt: Seine Konservativität ist eine, die selbst einem Franz Josef Strauß hätte gefallen können, der meinte, der Konservative marschiere an der Spitze des Fortschritts – um ihn zu lenken. Über dieses Selbstbewusstsein verfügt der neue Präsident auch. Die Kanzlerin wird es befürchten. Auf seine Art kann Joachim Gauck, wenn es gut geht, das dringend nötige Vertrauen der Bürger neu begründen, dass Politiker sich nicht erschöpfen im abgehobenen Handeln oder in einer Sonntagsrede. Daraus kann sich wiederum neue Autorität des Politischen entwickeln. Was für die Demokratie ein Glück wäre.

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