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Meinung: „Präsidentin des ganzen Volkes will ich sein“

Von dem Franzosen Jacques Chirac ist die gerade wiedergewählte finnische Präsidentin Tarja Halonen das schon gewöhnt. Aber in Finnland?

Von dem Franzosen Jacques Chirac ist die gerade wiedergewählte finnische Präsidentin Tarja Halonen das schon gewöhnt. Aber in Finnland? Als ihr Herausforderer am Wahlabend mit einem Handkuss gratuliert, fällt Halonens Lächeln ein wenig verlegen aus. „Madame hat gewonnen, der Mann hat verloren“, sagt der Kandidat der Konservativen, Sauli Niinistö. Ein kurzes Nicken, dann sieht sie schon woanders hin, spricht von der Arbeit, die diese Woche auf sie wartet. Große Gesten sind ihre Sache nicht. Selbst dann nicht, wenn es ein besonderer Tag ist. Vor 100 Jahren haben die Finninnen als erste Frauen in Europa das Wahlrecht erhalten. Heute ist es in Helsinki fast selbstverständlich, dass eine Frau weitere sechs Jahre an der Spitze des Staates steht.

Die „rote Tarja“, wie die Sozialdemokratin nicht nur wegen ihrer Haarfarbe genannt wird, gilt als engagierte Linke. Die 62-jährige Juristin, die in einem Arbeiterviertel von Helsinki aufgewachsen war, macht sich für das nordische Sozialstaatsmodell stark und befasst sich immer wieder mit den Themen Globalisierung und Menschenrechte. Zu einer Zeit, als Finnland noch ländlich-konservativ geprägt war, zog sie ihre Tochter Anna allein groß, trat aus der Kirche aus und kämpfte für die Rechte Homosexueller. Ihren Lebensgefährten heiratete sie erst, als sie bereits Präsidentin war.

Dass diese Frau vor sechs Jahren überhaupt ins höchste Staatsamt gewählt werden konnte, war ein Zeichen dafür, dass Finnland sich in den 90er Jahren radikal verändert hatte. Aber auch Tarja Halonen verzichtet heute auf polarisierende Äußerungen. In weiten Teilen der Bevölkerung kam ihre pragmatische, volksnahe Art gut an. Liebevoll-respektlos wurde sie in Anlehnung an eine berühmte Kinderbuchfigur „Muminmama“ genannt. Zeitweise lagen ihre Sympathiewerte sogar über 90 Prozent.

An ihrer Wiederwahl hatte daher niemand gezweifelt – bis zum ersten Wahlgang vor zwei Wochen. Überraschend verfehlte sie die absolute Mehrheit, die Stichwahl gewann sie jetzt mit 51,8 Prozent nur knapp. Im Wahlkampf hatte sie sich ganz auf ihre Popularität verlassen. „Präsidentin des ganzen Volkes“ wolle sie sein, hatte sie immer wieder betont. Doch plötzlich war das sonst so konsensfreudige Finnland in zwei Lager gespalten: Die Linke und die Gewerkschaften sprachen sich für Halonen aus. Die bürgerlichen Parteien, auch die mit den Sozialdemokraten regierende Zentrumspartei, stellten sich hinter Niinistö. Ihre Wiederwahl hat Halonen vielleicht nur der Tatsache zu verdanken, dass ihr Herausforderer sich für einen Nato-Beitritt aussprach. Damit gewinnt man in einem Land, das traditionell auf Neutralität setzt, keine Wahlen.

Auf internationalem Parkett fühlt sich die frühere Außenministerin Halonen, die sich auch einen Job bei den Vereinten Nationen gut vorstellen kann, sichtlich wohl. Dem US-Präsidenten rückt sie schon einmal die Krawatte zurecht, wenn es fürs Foto erforderlich ist. Und bei Angela Merkel beklagte sie sich kürzlich darüber, dass Frauen in der Politik oft nur nach Äußerlichkeiten beurteilt werden. Zumindest den Handkuss des Wahlverlierers hat Halonen Merkel inzwischen voraus.

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