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"Prager Frühling": Lieber Dutschke als Dubcek

Es reicht nicht, wenn Angela Merkel den "Prager Frühling" allein als Teil einer historischen Freiheitsbewegung beschreibt, die schließlich zum Fall der Mauer in Deutschland geführt hat. 40 Jahre Kontinuität: "Prager Frühling“ und moralische Indifferenz in Deutschland.

Es ist kein Zufall, dass Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Papst Johannes Paul II. in Osteuropa noch immer mehr zählen als Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Von Freiheit sprachen nur die einen, die anderen sprachen stattdessen mit den kommunistischen Machthabern. Vor allem in Polen wirkt diese moralische Indifferenz Deutschlands bis heute nach. Aber auch die enge Kooperation Tschechiens mit den USA ist ohne die Vergangenheit nicht zu verstehen. Deutschland hat Osteuropa so Stück um Stück verloren, die Stationen lauten: 1953, 1956, 1968, 1981 – und das Vertrauen auf der anderen Seite ist noch immer nicht wirklich hergestellt.

„Wer Vietnam zugestimmt oder sich lau dazu verhalten hat, hat kein Recht, keine Legitimation, über die Aktion der Sowjetunion gegen Prag zu urteilen“, so verbot der Philosoph Ernst Bloch 1968 jede Kritik, als die Russen mit Panzern den „Prager Frühling“ beendeten. Anders als die Intellektuellen im Rest Europas wollte die deutsche Linke mit dem Ereignis nichts anfangen, der Blick war nach Paris gerichtet, wie Rudi Dutschke später selbstkritisch einräumte, nicht nach Prag. Es war einer der Irrtümer der 68er.

Doch in der damaligen Beißhemmung gegenüber dem Stalinismus kam nicht nur die eigene deutsche Sehnsucht nach einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zum Ausdruck, sondern eine politische Maxime der deutschen Ostpolitik, die 1968 leider bis heute überdauert hat: nämlich die, dass man es sich auf keinen Fall mit Moskau verderben darf.

Wie Bloch damals unwidersprochen blieb, ist heute kaum etwas zu hören, wenn Wladimir Putin seine Menschrechtsbilanz ähnlich kühl relativiert: „In Amerika wird gefoltert, zum Beispiel in Guantanamo, in Europa geht die Polizei mit Gas gegen Demonstranten vor, manchmal sterben sogar Leute auf der Straße.“ Ob es sich um eine Gaspipeline durch die Ostsee handelt oder den Nato-Beitritt Georgiens – noch immer nimmt Deutschland die Wünsche Moskaus ernster als die Sorgen von dessen kleinen Nachbarn. Nicht immer steht man so auf der historisch richtigen Seite.

Deshalb reicht es auch nicht, wenn Angela Merkel bei der heutigen Festveranstaltung in Berlin den „Prager Frühling“ allein als Teil einer historischen Freiheitsbewegung beschreibt, die schließlich zum Fall der Mauer in Deutschland geführt hat. Vielmehr geht es darum, eine neue Ostpolitik zu skizzieren, der anzumerken ist, dass jene moralische Indifferenz, die die Ungarn, Tschechoslowaken und Polen zu spüren bekommen haben, in Zukunft bei der Ukraine, Weißrussland oder Georgien nicht wieder zum Vorschein kommt.

Vor allem aber darf der Blick zurück nicht auslassen, Russland endlich einmal mit der historischen Bilanz seiner gewalttätigen Politik in Osteuropa während der vergangenen 60 Jahre zu konfrontieren. Und wer könnte Moskau bei dieser Vergangenheitsbewältigung besser assistieren als der nachsichtige Partner Deutschland?

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