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Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff.

© Reuters

Prozess gegen Ex-Bundespräsidenten beginnt: Christian Wulff versucht seine Ehre zu retten

Der Prozess gegen Christian Wulff beginnt. Aus dem reichlich über ihn ausgeschütteten Skandalfüllhorn ist eine angebliche Vorteilsannahme von rund 700 Euro übrig geblieben. Wie das Verfahren auch ausgehen mag: Das, was Wulff eigentlich will, wird ihm das Urteil nicht bringen.

Kann ein Mensch seine Ehre verteidigen? Wenn er selbst es muss, hat er wohl keine mehr. Bei Bertolt Brecht heißt es dazu: Ehre ist nicht das, was ich euch über mich zurufe, sondern was ihr euch über mich zuruft. Achtung, Image, Reputation – das erwirbt ein Mensch nur in dem Maße, wie seine Mitwelt es ihm zuspricht. Ehre und Schande sind Urteile, die eine Gemeinschaft fällt, weil sie die einzige Instanz ist, die über Gunst und Missgunst entscheidet. Kann ein Mensch seine Ehre verteidigen? Das ist schwierig, vielleicht aussichtslos.

In Hannover steht nun Christian Wulff vor Gericht. Der Vorwurf der Bestechlichkeit ist vom Tisch. Als letzter Punkt aus dem reichlich über dem damaligen Bundespräsidenten ausgeschütteten Skandalfüllhorn ist eine angebliche Vorteilsannahme von rund 700 Euro übrig geblieben. Von dem Verfahren, das mehrere Monate dauern und zweifellos für ihn belastend sein wird, hätte Wulff sich freikaufen können. Doch er wollte nicht. Er will kämpfen, freigesprochen werden, eine höchstrichterlich verfügte weiße Weste tragen dürfen. Ein Bundespräsident hat kaum Macht. Das Amt lebt von dem Respekt, den der Amtsinhaber genießt. Das gilt, in abgemilderter Form, auch für ehemalige Bundespräsidenten.

Ehre für den Ehrverletzten

Es ehrt den Ehrverletzten, nicht den bequemen Weg gegangen zu sein. Aber das juristische Urteil, egal wie es lautet, wird das öffentliche Urteil kaum revidieren. Zu groß ist der Kreis jener, die ihn als Präsidenten von Anfang an ablehnten, als dass sich deren Grundhaltung im Falle eines Freispruchs ändern würde. Für diesen Kreis sind die strafrechtlich irrelevanten Dinge dann eben moralisch relevant. Wulffs Blässe, seine Salamitaktik, seine Vertuschungsversuche, seine Halbwahrheiten, sein Anruf beim Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Selbstgerechtigkeit ist oft das Gegenteil von Gerechtigkeit.

Durch eine Verurteilung Wulffs wiederum würde sich der große Kreis seiner Gegner lediglich bestätigt fühlen, während die wenigen, die in seinem Fall eine niederträchtige Kampagne am Werk witterten, ebenfalls keinen Anlass für eine Revision sähen. In ihren Augen würde eine 700-Euro-Vorteilsannahme-Lappalie nicht im Nachhinein den Jagdtrieb der Medienmeute legitimieren, das lustvolle Geballere aus vollen Rohren. Einen Rücktritt vom Rücktritt gibt es ohnehin nicht. Wulff bleibt – Urteil hin oder her –, was er seit Beginn seiner Präsidentschaft war: ein ziemlich einsamer Mensch.

Christian Wulff ist in seinen besten Jahren und wird vom Staat bezahlt.

Drei Wahlgänge hatte er gebraucht, weil die konservative Presse und Teile der Union ohnehin schon mit Joachim Gauck liebäugelten, die Opposition ihn nicht ernst nahm. Merkel aber wollte ihn unbedingt durchsetzen. Als Wulff dann davon sprach, dass auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehört, wandten sich weitere Konservative von ihm ab, ohne dass sich das Herz des liberalen Establishments für ihn zu erwärmen begann. So wurde es kalt und kälter um ihn, die inszenierte Patchwork-Idylle im Schloss Bellevue machte das nicht wett.

Islamische Verbände und Einwandererorganisationen fanden Wulff immer gut

Doch ob gefallen oder gestürzt, ungeeignet oder erlegt, überfordert oder chancenlos: Das Gerichtsverfahren über die Causa Wulff ist in Wahrheit auch ein Verfahren über dessen Mitwelt, also jene Instanz, die über Gunst und Missgunst entscheidet. Es gab eine Zeit, in der aus einer Vorstrafe nicht automatisch das Verdikt lebenslängliche politische Quarantäne gemacht wurde.

Otto Graf Lambsdorff etwa wurde 1987 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Ein Jahr später wurde er Bundesvorsitzender und 1993 Ehrenvorsitzender der FDP. Die rot-grüne Bundesregierung schließlich beauftragte ihn 1999, die Verhandlungen über die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter zu führen. Daraus erwuchs die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Im Jahr 2005 erhielt Lambsdorff den Toleranzpreis des Jüdischen Museums in Berlin.

Islamische Verbände und Einwandererorganisationen fanden Wulff immer gut. Mit der Türkei verbinden ihn viele Freundschaften. Der Mann ist in seinen besten Jahren und wird vom Staat bezahlt. Die Justiz möge Recht sprechen. Das Land indes sollte ein zweites Mal prüfen, was es an ihm hat. So unvoreingenommen, wie es geht. Nach alledem.

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