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Wladimir Putin und Angela Merkel: Deutschlands Atomangst mästet die russische Kriegskasse.

© rtr

Putin betreibt Ethnonationalismus: Russland, die Ukraine und wir

Wir alle wünschen uns ein demokratisches Russland als Partner der Europäischen Union. Doch die jetzige politische Führung des Landes entfernt sich von Europa. Ein Gastbeitrag.

Präsident Putin hat sich im russischen Föderationsrat eine Generalermächtigung für eine militärische Intervention in der Ukraine „bis zu einer Normalisierung der gesellschaftlichen und politischen Situation“ geholt. Dieses Mandat kommt einer Kriegserklärung an die Ukraine gleich. Es geht weit über die Sicherung russischer Interessen auf der Krim hinaus. Die Sorge vor einer russischen Invasion in der Ostukraine ist real. Putin hält sich weiter alle Optionen offen. Die Begründung, es gehe um den Schutz russischer Soldaten, Bürger und Landsleute, ist ein selbst fabrizierter Popanz. Viele unserer Freunde in Mittel-Osteuropa erinnert die Formel von der „brüderlichen Hilfe“ an vergangen geglaubte Zeiten imperialer Machtpolitik. Dazu gehört auch das propagandistische Trommelfeuer eines angeblichen „faschistischen Putschs“ in der Ukraine, das die Intervention legitimieren soll.  

Die Ukraine hat mit dem  Budapester Vertrag 1994 im Vertrauen auf internationale Garantien für die territoriale Integrität des Landes auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet. Unter dem Dach der Vereinten Nationen bürgten die USA und Russland für ihre Grenzen und für ihre Sicherheit. Angesichts der ukrainischen Erfahrung wird künftig kaum eine Nation bereit sein, im Vertrauen auf Garantien der Großmächte einseitig abzurüsten.

Das Vorgehen Russlands hebelt die europäische Friedensordnung aus, die auf Gewaltverzicht beruht. Es ist ein Bruch der UN-Charta durch ein Mitglied des Sicherheitsrats. Das Völkerrecht wird durch das Recht des Stärkeren ersetzt. Die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes, die von Russland so gern reklamiert wird, erweist sich als rein taktisches Argument. Es gilt nur, soweit es sich – wie im Falle Syriens – um Verbündete handelt. Für die Ukraine wurde die Breschnew-Doktrin der „begrenzten Souveränität“ reaktiviert: Moskau behält sich das Recht vor, gegen unliebsame Entwicklungen im „nahen Ausland“ mit allen Formen des politischen, ökonomischen und militärischen Drucks zu intervenieren.

Präsident Putin wirft der Ukraine aggressiven Nationalismus vor, während in der Duma und den patriotischen Medien die großrussische Rhetorik gepflegt wird. Für nationalistische Kreise in Russland ist die Ukraine ein künstliches Gebilde. Ihr Ziel ist die Vereinigung aller Russen in einem Staat. Das ist eine Neuauflage des alten, unseligen Ethnonationalismus, der Europa in eine Spirale von Kriegen und Vertreibungen gerissen hat. Die Einheit der Ukraine zu verteidigen heißt auch die Idee multiethnischer Demokratien zu verteidigen. Der „Euromaidan“ in Kiew war ein großer Schritt in diese Richtung: er vereinigte die diversen ethnischen Gruppen des  Landes -Ukrainer, Russen, Tataren, Juden- in einer gemeinsamen Bewegung.

Die Herausbildung einer politischen Nation quer über alle ethnisch-kulturellen Unterschiede hinweg setzt Rücksichtnahme auf Minderheiten voraus, auch in der Sprachenpolitik. Es war gut, dass der unbesonnene Beschluss des ukrainischen Parlaments in dieser Angelegenheit vom amtierenden Interimspräsidenten auf Eis gelegt wurde. Der Prozess der inneren Aussöhnung droht jetzt durch die russische Intervention entscheidend zurückgeworfen zu werden. Die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ bezeichnete den bewaffneten Angriff auf die Ukraine deshalb als Verbrechen an beiden Völkern, weil sie Russen und Ukrainer gegeneinander zu treiben droht. 

Die Antwort der internationalen Gemeinschaft auf diesen Rückfall in alte Zeiten muss klar und bestimmt sein. Klar in der Benennung der Ereignisse und bestimmt in der Antwort. Das gilt umso mehr für die Europäische Union. Es geht nicht nur um die Verteidigung des demokratischen Aufbruchs in der Ukraine, es geht um die Ideale eines freien Europas. 

Bundesregierung und Europäische Union müssen sich mit allen friedlichen Mitteln gegen diese Aggression stellen. Es braucht eine schnelle und klare gemeinsame Botschaft an Präsident Putin, dass eine Fortsetzung der Gewaltpolitik gegen die Ukraine einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis haben wird. Alle diplomatischen Kanäle müssen genutzt werden, um eine Deeskalation des Konflikts zu bewirken. Gutes Zureden allein wird nicht helfen. Wenn die EU signalisiert, dass sie sich am Ende tatenlos mit der Intervention in der Ukraine arrangieren wird, ermutigt sie nur die Falken im Kreml zu weiteren militärischen Abenteuern.

In vielen Kommentaren zu den Ereignissen im Osten unseres Kontinents schwingt eine fatalistische Haltung mit: Putin kann tun was er will, der Westen kann allenfalls ohnmächtig die Faust in der Tasche ballen. Das unterstellt, es gäbe nur die Alternative militärischen Säbelrasselns oder hilfloser Appelle an beide Seiten, doch bitte jede Provokation zu unterlassen. Niemand will, niemand fordert militärische Drohgesten gegenüber Russland. Aber zwischen Nato und Nichtstun gibt es ein weites Feld wirtschaftlicher und politischer Handlungsmöglichkeiten. 

Entgegen landläufiger Vorstellungen ist Russland von Europa sehr viel abhängiger als umgekehrt. Die Hälfte des russischen Außenhandels findet mit der EU statt. Glatte 75 Prozent der ausländischen Investitionen kommen von hier. Insbesondere bei der Modernisierung seiner Wirtschaft ist Russland auf westliche Technologie und westliches "Knowhow" angewiesen. Die Kapitalflucht aus Russland ist endemisch, große Teile des Vermögens der oberen Zehntausend sind in Europa angelegt. Für Gazprom ist die EU das wichtigste Geschäftsfeld. Der Konzern bemüht sich intensiv um Beteiligungen an der westlichen Energiewirtschaft. All das sind Hebel, an denen angesetzt werden kann, um der russischen Machtelite zu demonstrieren, dass sie sich selbst schadet, wenn sie den Weg der Konfrontation geht. Schon ein Exportstop für militärisch relevante Technologien, ein Moratorium für das Southstream-Pipelineprojekt, das Einfrieren von Konten und Einreiseverbote für Mitglieder der Nomenklatura wird Wirkung zeigen.

Wenn Russland die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der EU fortsetzen will, muss es die militärische Intervention gegen die Ukraine beenden und den Weg des Dialogs einschlagen. Wir alle wünschen uns ein demokratisches Russland als Partner der Europäischen Union. Es ist die jetzige politische Führung des Landes, die sich von Europa entfernt.

Die Selbstachtung Europas erweist sich jetzt gegenüber der Ukraine: in der Solidarität mit all den Bürgerinnen und Bürgern, die gerade einen mutigen Schritt Richtung Demokratie und Europa gegangen sind.

Rebecca Harms ist Spitzenkandidatin der Grünen für die Wahlen zum Europaparlament, Ralf Fücks ist Vorstandsmitglied der Böll-Stiftung.

Rebecca Harms, Ralf Fücks

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