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Meinung: Putins Parolen

Jetzt war es doch Terror: Warum der Kreml die Anschläge vertuschen wollte

Das kommt den Russen spanisch vor. Wenige Tage vor einer wichtigen Wahl ereignet sich eine Katastrophe mit vielen Toten. Doch von der allgemein vermuteten Ursache – Anschlag einer berüchtigten Terrorgruppe – will die Regierung zunächst nichts wissen. Sie wiegelt ab, betreibt eine widersprüchliche bis verdächtige Informationspolitik, als gehe es ihr darum, sich erst mal über den Wahltag zu retten.

So war es im März 2004 in Spanien: Die konservative Regierung Aznar wollte die Verantwortung für den Bombenanschlag auf einen Vorortzug drei Tage vor der Parlamentswahl der spanischen Eta anlasten, obwohl die solchem Terror abgeschworen hatte. Denn falls Al Qaida dahinter stand, würden die Medien die Verbindung zum spanischen Irakeinsatz ziehen – was der sozialistischen Opposition nutze, die die Soldaten abziehen wollte. Es war Al Qaida, der Versuch amtlicher Lügen besiegelte den Machtwechsel in Madrid.

Ähnlich jetzt in Moskau. Die meisten vermuteten tschetschenische Terroristen hinter dem gleichzeitigen Absturz zweier russischer Verkehrsflugzeuge wenige Tage vor der Tschetschenienwahl. Nur der Inlandsgeheimdienst des Kreml fand zunächst keinen Anhaltspunkt dafür. Widersprüchlich klingen die offiziellen Verlautbarungen. Keine Sprengstoffspuren an den Wrackteilen – hieß es am Mittwoch. Doch die betroffenen Sibir Airlines bestanden darauf: Die Wrackteile seien so weit verstreut, dass nur eine Explosion in der Luft als Ursache in Frage komme. Am Freitag fanden die Experten des Kreml dann doch Sprengstoffspuren. Putins Leute rücken auch langsam von der merkwürdigen Behauptung ab, die Flugschreiber seien zwar unversehrt gefunden worden, doch sei dort nichts aufgezeichnet. Nun sollen nachweislich Entführer an Bord gewesen sein. Erfahren die Russen bald auch Glaubwürdiges über das Schicksal der zweiten Maschine?

Präsident Putins informationspolitische Wende rührt nicht daher, dass sein Kandidat Alu Alchanow fürchten muss, die Präsidentenwahl in Tschetschenien zu verlieren. Anders als in Spanien haben die Wähler keine Auswahl und Kandidaten des Volkes keine Chance, unter fairen Bedingungen anzutreten. Putin ist aufgeschreckt durch die russischen Medien, die sich weigern, die Kremlversion von schwer zu klärenden Unglücksfällen zu übernehmen. So einen breiten Aufstand gegen die offizielle Lesart hat Russland lange nicht erlebt.

Nach westlichen Maßstäben mag es keinen so fundamentalen Unterschied machen, ob mangelnde Wartung oder schlechtes Flugbenzin zwei Flugzeuge abstürzen lässt – oder ob ein Terroranschlag dahinter steckt. Beides ist ein Beleg , dass die Staatsmacht die Verhältnisse nicht im Griff hat und zivile Sicherheit nicht gewährleistet. Anders in Russland. Explodierende U-Boote, brennende Fernsehtürme und ähnliche Unglücke werden als unvermeidliche Schicksalsschläge hingenommen; im schlimmsten Fall muss ein Admiral oder Behördenleiter seinen Hut nehmen.

Tschetschenischer Terror in Russland kurz vor der Wahl in Grosny dagegen widerlegt Putins These, dass er den Kaukasus befriedet habe. Das geht zu Lasten seines Ansehens – genauso wie jetzt die Informationspolitik.

Unter diesen Umständen wird Kanzler Schröders und Präsident Chiracs Reise zum Dreiergipfel mit Putin in Sotschi an der sonnigen Schwarzmeerküste zu einem Balanceakt. Bei business as usual – Fotos lächelnder Staatsmänner und die treuherzige Versicherung, hinter verschlossenen Türen seien die kritischen Fragen gestellt worden – darf es diesmal nicht bleiben. So wie Russland seit zehn Jahren Krieg in Tschetschenien führt und jetzt die Öffentlichkeit belügt, kann Wladimir Putin nicht wie ein ganz normaler Verbündeter im Krieg gegen den Terror behandelt werden.

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