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Meinung: Quälgeister, keine Monster

Angst vor Wespenstichen ist meist unbegründet

Alexander S. Kekulé Das schutzlose Opfer wurde gleich von zwei Killerwespen auf einmal angegriffen. Die erste fügte ihm einen schmerzhaften Stich am Hals zu. Dann versenkte die Kampfgenossin ihren giftbeladenen Stachel tief in die Stirn des Gequälten. 30 Minuten dauerte der Todeskampf, bei dem ein Nervenzentrum nach dem anderen ausfiel: Zuerst Desorientiertheit und ein merkwürdiger Drang, sich zu putzen. Dann Lethargie und Bewusstlosigkeit, schließlich Tod durch Atemlähmung. Währenddessen begannen die Mörderinnen, ihr Opfer zu zerteilen und die noch lebensfrischen Proteinbrocken an ihren Nachwuchs zu verfüttern – Küchenschaben sind eine Delikatesse für Wespen.

Neben Kakerlaken stehen zahlreiche weitere Ungeziefer, wie Motten und Obstschädlinge, auf dem Speiseplan der etwa 600 Wespenarten, die in Deutschland heimisch sind. Trotzdem haben die gestreiften Flieger einen miserablen Ruf: Sie sollen in Schwärmen und ohne Grund angreifen, Hornissen töten angeblich mit drei Stichen einen Menschen, mit sieben ein Pferd. Sogar Pharao Menes, der sagenumwobene Gründer des ersten Ägyptischen Reiches, soll um 3000 v. Chr. einem Wespenstich zum Opfer gefallen sein.

Die Horrormeldungen entstammen dem Reich der Phantasie. In Wirklichkeit ist das Gift der Hornisse etwa viermal schwächer als das der Honigbiene: Wespen benützen ihren Stachel hauptsächlich bei der Jagd zur Betäubung von Insekten. Dagegen muss das Gift der Bienen, die nur zur Verteidigung stechen, notfalls auch einen hungrigen Bären von den Honigwaben vertreiben. Wahr ist, dass Hornissenstiche wegen des längeren Stachels ziemlich schmerzhaft sind – jedoch gelten Hornissen als besonders friedliche Wespenart.

Die Plagegeister, die derzeit Kaffeekränzchen und Grillpartys vermiesen, gehören meist zu den Arten Deutsche Wespe oder Gemeine Wespe. Beide sehen schlecht. Deshalb folgen sie ihrem hervorragenden Geruchssinn und fliegen oft entlang verwirbelter Duftfahnen auf einem chaotischen Zickzackkurs, was fälschlich als Aggressivität interpretiert wird. Wenn Wespen stechen, haben sie fast immer einen Grund, zum Beispiel hektische Bewegungen, die als Attacke interpretiert werden oder Annäherung an das Nest auf wenige Meter. Bei der Verteidigung der Nester markieren die Wespen den Angreifer mit einem speziellen Duftstoff, verfolgen ihn im Schwarm und stechen zu. Verwechslungen dieses Signalstoffes mit Parfüms und Hautölen waren wahrscheinlich für die äußerst seltenen Fälle verantwortlich, in denen Wespen einen Menschen ohne erkennbaren Anlass angeflogen und sofort gestochen haben.

Auch die Gefahr durch Allergien wird oft übertrieben. Die etwa ein bis drei Prozent der Menschen, die auf Wespenstiche allergisch sind, reagieren meist mit besonders ausgedehnten Schwellungen und Rötungen sowie nicht lebensbedrohlichen Kreislaufstörungen. Der gefürchtete „anaphylaktische Schock“ nach einem Wespenstich ist auch bei Allergikern äußerst selten: Fünf bis zehn Todesfälle pro Jahr, etwa so viel wie durch Blitzschlag. Die meisten der Gestochenen, die sich derzeit in den Nothilfen drängeln, sind grundlos in Panik geraten – nicht zuletzt wegen der dramatischen Medienberichte.

Der wichtigste Rat zur Vermeidung von Wespenstichen heißt deshalb: Ruhe bewahren und langsam bewegen. Pharao Menes hätte das allerdings nicht geholfen – er wurde wahrscheinlich nicht von einer Wespe, sondern von einem Nilpferd getötet.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle.Foto: J.Peyer

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