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Meinung: Quatschen bis zur Reue

Die RAF-Täter werden ihre Reststrafen wohl in Talkshows absitzen Von Burkhard Müller-Ullrich

Der mit Abstand wichtigste Grund für eine vor- und frühzeitige Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt ist folgender: Wir wollen sie endlich im Fernsehen sehen! Es geht nicht an, dass immer nur der Menschenkehricht – bitte: das ist ein Wort von Heinrich Heine! – aus den hinteren Rängen unsere Bildschirme bevölkert, während es noch einen Vorrat an richtigen Star- und Spitzenübeltätern gibt, deren publizistische Verwertung nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft und abgeschlossen ist.

Die Politkillerin Mohnhaupt ist geradezu ein Paradebeispiel. Ihr Gesicht ist dank jahrzehntelanger Mattscheibenabstinenz verhältnismäßig frisch und unverbraucht; es gibt ja nur uralte Fahndungsfotos von ihr, denen sie vermutlich nicht einmal mehr ähnlich sieht. So etwas gilt bei den Bildmedien als absoluter Glücksfall. Außerdem ist sie als Frau natürlich ungleich interessanter als ihr Politkillerkollege Christian Klar. Um den kümmert sich höchstens Claus Peymann, auf dass ihm Klar ein bisschen beim Kulissenschieben helfe. Aber auf den blonden Todesengel Mohnhaupt wartet eine tolle Talkshowkarriere. Von Kerner bis Plasberg werden schon die Mäuler und die Türen aufgerissen; Plasberg hält es für eine „Bürgerpflicht“, Mohnhaupt in der Sendung zu haben, bei Kerner würde sie indes (das ZDF ist eben sparsam) kein Honorar bekommen.

Dann doch lieber zu Maybrit Illner oder Bärbel Schäfer, die sich schon mal prinzipiell bereit erklären, ein Gespräch von Frau zu Frau zu führen, was naturgemäß auch für Sabine Christiansen gelten müsste, doch deren Redaktion hat sich, wie sie verlauten lässt, mal wieder keine abschließende Meinung gebildet. Oder will man das nur der nachfolgenden Charmekanone überlassen, weil man weiß, dass Sabine in jedem Falle schneller weg ist, als Brigitte kommt?

Wo aber das öffentliche Interesse so gewaltig ist, da muss der Staat für günstige Bedingungen sorgen. Die Lichtverhältnisse in den Justizvollzugsanstalten sind suboptimal, man sitzt beengt, die ganze Atmosphäre ist schon wegen des allzu homogenen Publikums nicht so wie im gewohnten Studio. Deshalb kann nicht das Fernsehen zu Frau Mohnhaupt ins Gefängnis kommen – sie selbst muss heraus, um die Erfüllung einer Talkmaster-Bürgerpflicht erst möglich zu machen.

Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass das Volk mit den Lebensgeschichten von Kannibalen, Päderasten und Bankräubern abgespeist wird, während die Story einer philosophisch gebildeten, der Malerei ergebenen Mehrfachmörderin wie Mohnhaupt medial vollkommen brachliegt. Die wie immer von tiefer Menschlichkeit geprägten Gespräche vor den Kameras werden dabei sicherlich um die aufwühlende Schicksalsfrage kreisen, wie Brigitte Margret Ida Mohnhaupt es geschafft hat, eine so lange Haftzeit – 25 Jahre! – überhaupt zu überstehen. Und vermutlich wird Brigitte Margret Ida Mohnhaupt dann zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Reue empfinden. Denn es gibt wahrhaftig keine härtere Strafe auf Erden als eine Höllenfahrt durch die Talkshows dieser Republik.

Der Autor ist freier Journalist und Buchautor („Medienmärchen. Gesinnungstäter im Journalismus“, Blessing Verlag) und lebt in Köln und Genf.

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