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Meinung: Räuber und Gendarm

Die IG Metall kann den Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche nicht gewinnen

Die Posten ziehen die Köpfe ein. Hubschrauber bringen Decken, Brot und Wasser zu den Belagerten. Wer raus will, darf raus. Wer rein will, der muss die Blockierer überfliegen. Der Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche bei dem Dresdner Unternehmen Federal Mogul erinnert an Räuber und Gendarm. Aber wer ist der Gute und wer der Böse? Und wer kämpft hier eigentlich gegen wen? Die Hubschrauber fliegen nämlich vor allem über schwäbisch schwätzende Metaller hinweg: Ein Großteil der Streikposten kommt aus Baden-Württemberg. Denn dort gibt es viele im Arbeitskampf geübte Metaller, die wissen, wie man einen Betrieb dicht macht und deshalb den Kollegen Anfängern aus dem Osten zu Hilfe gekommen sind.

Das ärgert den Chef. Eine Riesensauerei, schimpft der Geschäftsführer von Federal Mogul; die Klassenkämpfer West blockierten die Arbeitswilligen Ost. Der Streik der Gewerkschaft richte sich also nicht gegen die Unternehmen, sondern die Beschäftigten. Eine Riesensauerei, schimpft auch der Streikführer der IG Metall. Die Geschäftsführung gehe menschenverachtend gegen die eigenen Belegschaft vor; mit der Existenzangst der Menschen werde Politik gemacht. Denn den Beschäftigten sei mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht worden, wenn sie sich am Streik beteiligten. Also seien sie auf die Solidarität der Wessis angewiesen.

Bislang sind Tarifkonflikte hier zu Lande ohne Hubschrauber gelöst worden. Doch diesmal ist vieles anders. Zum Beispiel die starke Präsenz westdeutscher Gewerkschafter vor den ostdeutschen Werken. Wenn die IG Metall das mit Solidarität erklärt, dann ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Sie hat durchaus ein Eigeninteresse an einem Erfolg der Ostkollegen. Zum einen würde der Trend zur längeren Arbeitszeit auch im Westen verstärkt, wenn die IG Metall den aktuellen Arbeitszeitkampf verliert. Zum anderen sind die Wessis zunehmend sauer über die Konkurrenz der Ossis. Wenn zum Beispiel den Wolfsburger VWlern vom Vorstand gesagt wird, „Eure Kollegen im sächsischen Mosel sind billiger, arbeiten aber länger, deshalb bauen wir dort mehr Golfs als in Wolfsburg“, dann ist das ziemlich ärgerlich.

In den sächsischen VW-Werken wird vermutlich die Tarifschlacht entschieden. Wenn aus Mosel keine Karosserien mehr kommen und aus Chemnitz keine Motoren, kann der Konzern irgendwann bestimmte Autos nicht mehr bauen. So wie BMW, die in der kommenden Woche zwei Tage keine 3er-Modelle produzieren, da aus dem Werk für Handschaltgetriebe in Brandenburg (Havel) kein Nachschub kommt. Der Betrieb wird bestreikt. In der Sprache der Tarifpolitiker heißt das Fernwirkung: Durch das Ausschalten eines Lieferanten bringe ich so viele Abnehmer wie möglich ins Straucheln. Und irgendwann tut der Streik so vielen Arbeitgebern so weh, dass sie sich auf einen Kompromiss mit der Gewerkschaft einlassen.

In der aktuellen Auseinandersetzung hat die IG Metall gar keine andere Wahl, als auf diese Strategie zu setzen, denn die Autokonzerne (und ihre Zulieferer) haben viele Tochterfirmen in Ostdeutschland. Diese beschäftigen viel Personal, das zumeist auch in der Gewerkschaft ist. Alles notwendige Bedingung für einen Streik. Darüber hinaus hat die IG Metall bei ihrem Arbeitskampf vor allem die Beschäftigten der großen Betriebe im Auge, weil sich die Kleinfirmen mehrheitlich vom Flächentarif verabschiedet haben.

Die aktuelle Auseinandersetzung treibt weitere Unternehmen aus den Verbänden. Ja und, sagt die IG Metall, dann machen wir eben Einzeltarifverträge mit jedem Unternehmen. Auf Dauer wird sich das als Milchmädchenrechnung entlarven. Wenn die IG Metall eine Politik macht, die viele Beschäftigte nicht erreicht, dann verliert sie noch mehr Mitglieder; auf jeden Fall wird sie keine neuen gewinnen. Das wäre aber nötig, um im „Häuserkampf“, also bei Tarifverhandlungen von Betrieb zu Betrieb, erfolgreich zu sein. Deshalb wird der Kampf um die 35-Stunden-Woche so oder so mit einer Niederlage für die IG Metall enden.

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