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Meinung: Ratlos in der Rätedemokratie

Die Debatte über die Biopolitik in Deutschland schien ein paar Monate zu schlummern. Jetzt wacht sie wieder auf.

Die Debatte über die Biopolitik in Deutschland schien ein paar Monate zu schlummern. Jetzt wacht sie wieder auf. Schneller, als es ihren Wortführern in der Politik lieb ist. Denn man erkennt nun, dass sie nicht viel weiter gekommen sind. Das zeigt sich vor allem an der aktuellsten aller gentechnischen Fragen: Darf man die von den Forschern heiß begehrten embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) nach Deutschland importieren? Obwohl man hier diese Zellen nicht gewinnen darf, weil dafür menschliches Leben geopfert werden muss?

Der Zeitplan war lange festgelegt: Am 7. Dezember will die Deutsche Forschungsgemeinschaft über den Förderantrag des Bonner Gehirnforschers Oliver Brüstle entscheiden, der ES-Zellen aus Israel importieren möchte. Der Bundestag sollte zuvor diese Frage diskutieren, sich aber noch von der hauseigenen Enquete-Kommission und dem Nationalen Ethikrat beraten lassen. Jetzt aber fordert das Parlament einen erneuten Aufschub.

Dabei hätten die Abgeordneten genügend Zeit gehabt. Dass sie ungenutzt blieb, daran ist nicht der 11. September Schuld. Die Politik traut sich nicht, ist unsicher, weil die zu beantwortende Frage zu groß erscheint, weil sie Streit innerhalb der Fraktionen schafft, weil einige Strategen immer noch dem Irrglauben anhängen, sie könnten parteipolitisches Kapital aus der Diskussion ziehen. Auch des Kanzlers Rätedemokratie hat sich im Falle der Gentechnik bislang nicht bewährt. Weder der Nationale Ethikrat noch die Enquete-Kommission können den Abgeordneten die Entscheidung erleichtern. Auch in diesen Gremien gehen die Positionen der Mitglieder so weit auseinander, dass sie keine klare Empfehlung geben können.

Die Drohung Brüstles, er werde ins Ausland gehen, wenn die Entscheidung nicht bald falle, mag nicht hilfreich sein. Sie zeigt aber, wie verloren die deutsche Politik dasteht, wenn sie nicht agiert. Die Wissenschaft ist jener Bereich, in dem die Globalisierung am weitesten gediehen ist. Ähnlich wie das Kapital sucht sie sich ihre Wege. Aufzuhalten ist sie nur schwer, und wenn überhaupt nur von einer Koalition vieler Staaten dieser Welt, die bereit wären, der Genforschung gemeinsam Grenzen zu setzen. Wenn es bei den Fragen der Gentechnik wirklich um die letzten Fragen der Menschheit geht, dann reicht es nicht, allein die deutsche Menschheit vor dem moralischen Untergang zu retten. Dennoch hat sich etwas geändert in der Gen-Debatte. Die meisten haben inzwischen begriffen, dass es hier kein Gut oder Böse gibt. Sondern den Zwang zu differenzieren. Und es gibt Mittelwege, die weder zum Untergang des Abendlandes führen würden noch zum Verzicht auf Heilung schwerer Krankheiten. Man muss keine Embryonen extra für die Forschung erzeugen. Man muss kein therapeutisches Klonen zulassen, das reproduktive Klonen von Menschen schon gar nicht. Sich darauf festzulegen heißt nicht, die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland kategorisch auszuschließen.

Es wäre kein Dammbruch, würde man den Import bereits im Ausland vorhandener Zelllinien zu Forschungszwecken erlauben. Dieser müsste von klaren Regeln begleitet werden: dem Nachweis, dass die importierten Zellen von überzähligen, ohnehin dem Tode geweihten Embryonen stammen, sowie der Zustimmung der Spenderin, die dafür kein Geld bekommen darf. Jedes Forschungsvorhaben müsste sowohl ethisch als auch wissenschaftlich genau geprüft, der Forschungsprozess transparent bleiben. Nur so könnte eine wilde Stammzellenforschung verhindert werden, wie sie etwa in privaten Laboren der USA bereits betrieben wird.

Markus Feldenkirchen

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