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Meinung: Ratlos in Jerusalem

Israels Bevölkerung hat das Vertrauen in seine Politiker und Spitzenmilitärs verloren

Tausende israelische Soldaten stehen noch auf libanesischem Boden – und doch bekämpfen sich bereits Politiker und Spitzenmilitärs im Hinterland. Keiner will für das Fiasko des Krieges Verantwortung übernehmen oder sich die Schuld zuschieben lassen.

Die fast unglaublichen Klagen der Reservisten über Fehler und zögerliche Kommandeure und die Wut der betroffenen Zivilbevölkerung über ungenügende oder ausgebliebene Hilfe werden letztlich zu einer Untersuchungskommission auf hoher Ebene führen. Bald werden dann Köpfe rollen. Und danach wird sich kaum etwas ändern. Dabei müsste der gesamte jüdische Staat auf den Prüfstand. Regierung, Parlament, die gesamte politische Klasse, die Generäle und andere hohe Dienstgrade stehen vor einem allein von ihnen zu verantwortenden Trümmerhaufen: Sie haben das Vertrauen der beeindruckend standhaften Bevölkerung eingebüßt. Sie haben den jüdischen Staat in die gefährlichste existenzielle Krise seit Jahrzehnten, ja nach Ansicht vieler gar seit Staatsgründung, geführt. Jetzt erweisen sie sich in ihrer großen Mehrheit als unfähig, auch nur einen Ausweg aufzuzeigen.

Ein Einziger hat bisher den Mut zur Selbstkritik: der abtretende Infanterie- und Fallschirmjäger- Oberkommandant Brigadegeneral Jossi Heiman. Er machte „Arroganz und Überheblichkeit“ der Armee aus und bedauerte, dass er seine Soldaten nicht besser für den Kampf vorbereiten konnte. Der nächste Krieg kommt bestimmt, eher früher als später. Diesbezüglich ist man sich unter Politikern und Militärs einig. Untersuchungskommissionen würden die Kriegsvorbereitungen stören, argumentieren die einen, während sie für andere unumgänglich und unverzichtbar sind, gerade weil man sich dem nächsten Krieg besser vorbereitet stellen müsse.

Immerhin gibt es erste Stimmen auch in der Regierung, die den nächsten Krieg mit politischen Mitteln zu verhindern versuchen. Es gelte Syrien, nach wie vor Patron des Libanon, Waffenlieferant der Hisbollah, Durchgangsstation für iranische Waffen, Partner des Iran, aus dem Lager der Israelfeinde herauszulocken, mit Damaskus Frieden zu schließen. Dann würde die Hisbollah vom Nachschub abgeschnitten und die libanesische Regierung sei zum Frieden bereit. Vor allem aber stünde der Iran, von dem die größte Gefahr für Israels Existenz ausgeht, isoliert da.

Den Preis, den Israel dafür zu zahlen hätte: Die Rückgabe der gesamten Golanhöhen, einschließlich der umstrittenen Schaba-Farm. Was bisher als fast unmöglich schien, ist nun in den Bereich des Möglichen gerückt. Denn der Krieg hat gezeigt, dass der strategische Wert von Territorium erheblich geschrumpft ist, die militärische Bedeutung von Raketen, selbst primitiver Bauart, aber gestiegen. Die Hisbollah hat gezeigt, wie man Israels übermächtiger Kriegsmaschinerie erfolgreich widerstehen und Jerusalem politisch besiegen kann.

Außenministerin Zippi Livni hat am Sonntag einen Verantwortlichen für das Projekt Syrien ernannt – der Minister für Innere Sicherheit Avi Dichter erklärte sich am Montag zur Rückgabe des Golans für „echten Frieden“ bereit. In die israelische Syrienpolitik ist wieder Bewegung gekommen.

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